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13.02.10 / Annäherung über die Musik / Der MDR sucht in Königsberg nach gleicher Wellenlänge mit den neuen Bürgern der Stadt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-10 vom 13. Februar 2010

Annäherung über die Musik
Der MDR sucht in Königsberg nach gleicher Wellenlänge mit den neuen Bürgern der Stadt

Zu Sowjetzeiten sollte in Königsberg alles Deutsche ausradiert werden. Nun nähern sich das deutsche Erbe der Stadt und die russische Gegenwart über die Kultur wieder an. Ausgerechnet der Mitteldeutsche Rundfunk, der in den letzten Jahren immer wieder von Stasi-Affären heimgesucht wurde, hat eine „Kulturbrücke Kaliningrad“ geschlagen.

Die holprigen Straßen durch Polen und die Strapazen bei der Einreise in die russische Exklave dürften das geringste Hindernis für die Journalisten und Musiker des Mitteldeutschen Rundfunks auf dem Weg nach Königsberg gewesen sein. Viel langwieriger gestaltete sich die geistige Annäherung an das heutige Königsberg und seine Bürger. Für den MDR-Hörfunkdirektor Johann Michael Möller hat alles mit einer Begegnung kurz nach der Jahrtausendwende mit dem Baumeister des restaurierten Doms von Königsberg, Igor Odinzow, angefangen: „Er kam auf mich zu und sagte, ich baue auch für euch Deutsche euren Dom wieder auf – und jetzt müsst ihr euch wenigstens dafür interessieren. Ich antwortete ihm damals lachend, wenn ich jemals die Möglichkeit haben sollte, ihn zu unterstützen, würden wir seine Leistung mit einem großen Konzert würdigen.“

Dazu kam es nun viele Jahre später. Am 23. Januar krönte das Gastspiel eines internationalen Sinfonieorchesters im Königsberger Dom die MDR-Themenwoche „Kulturbrücke Kaliningrad“. Vor ausverkauftem Haus spielten die Musiker mit dem russischen Organisten Artjom Chatschaturow Stücke von Johann Sebastian Bach und anderen berühmten Komponisten. Angezogen hatte dieser Kulturhöhepunkt viele Größen aus Politik und Medien. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) war zum Beispiel gekommen, weil Königsberg schon immer eine Verbindung zwischen Russland und Deutschland hergestellt habe. „Früher die östlichste Großstadt Deutschlands und heute die westlichste Großstadt Russlands. Ich hoffe, dass die Kulturbrücke einen Beitrag dazu leisten kann, dass diese weltoffene Stadt wieder mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt“, betonte Böhmer.

Zu dieser Aufmerksam­keit hat der MDR zwei­fels­ohne beigetragen, indem er vom 18. bis 24. Januar ausführlich im Fernsehen und seinen Hörfunkprogrammen direkt aus Königsberg berichtete. Im Kulturradio kamen vertriebene Zeitzeugen zu Wort und Immanuel Kant sowie weitere berühmte Söhne wurden vorgestellt. Außerdem drehten sich etliche Dokumentationen um die wechselvolle Geschichte der von den Sowjets nach dem Stalinisten Michail Iwanowitsch Kalinin benannten Stadt. In den Kochsendungen im Fernsehen bereitete man Königsberger Fischsalat mit Lachs zu und selbst der Jugendradiosender „Sputnik“ schick­te einen sogenannten Blogger gen Nordosten, um Eindrücke der Hafenstadt und des Nachtlebens zu sammeln. Dieser schrieb: „Die Stadt ist auf den ersten Blick abstoßend hässlich. Ein Dreck­loch. Überall Beton, Beton, Beton.“ Doch auf den zweiten Blick offenbare sich Königsberg als eine „Perle“: „Viele Befestigungsanlagen sind erhalten, einige alte Häuser, teilweise ganze Villenviertel.“

Damit diese Perle glänzt und nicht nur zwischen versteckten architektonischen Spuren zu finden ist, kann die Kultur als Vermittler zwischen Tradition und Gegenwart dienen. Menschen wie Igor Odinzow, immerhin ein ehemaliger Oberst der Sowjetarmee, haben die Restauration des Doms und gemeinsame Projekte mit Deutschen vorangetrieben und bewiesen, dass auch auf russischer Seite in den letzten 20 Jahren eine Wandlung stattgefunden hat. „Über die Musik kommen wir ins Gespräch, wie wir gemeinsam die Zukunft gestalten können – besser als es unsere Väter in der Vergangenheit getan haben“, sagt MDR-Intendant Udo Reiter.

Gerade der Sender für Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hat sich lange sehr schwer getan, über Themen wie Flucht und Vertreibung, Ostpreußen oder Schlesien zu berichten. In der DDR bezeichneten die Presseorgane die Vertriebenen euphemistisch als „Umsiedler“. Größere Versammlungen waren ihnen verboten und so konnten sich die Millionen Vertriebenen, die in der DDR lebten, über ihr Schicksal nur privat austauschen. Nach der Wiedervereinigung änderte sich dies nur langsam, da beim MDR viele DDR-Journalisten unterkamen und die Aufarbeitung der eigenen Versäumnisse und Fehler bis heute persönliche Eitelkeiten und alte Überzeugungen berührt.

Gerade in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zeigt sich beim MDR, inwieweit er bereit ist, alte „Ostalgie-Zöpfe“ abzuschneiden und den Blick nach vorn zu richten. Der gleichen Herausforderung sieht sich Königsberg ausgesetzt. Im Rahmen der „Kulturbrücke Kaliningrad“ sagte der Historiker Michael Stürmer: „Was es heute gibt, ist eine postsowjetische Stadt auf der Suche nach einer Rolle irgendwo zwischen dem fernen Russland und der nahen Europäischen Union, zwischen Kommerz und Garnison, zwischen Neubau und Rekonstruktion.“ Vielleicht gelingt es ja mit Kultur und Musik, diese schwierige Identitätssuche sowohl für Königsberg als auch den MDR und seine Zuschauer auf einen vernünftigen Weg zu lenken. Der MDR-Chefdirigent Jun Märkl versprach schon einmal: „Wir werden nicht das letzte Mal hier zu Gast gewesen sein!“ Er habe sich mit seinem russischen Kollegen Arkadij Feldman von der Staatsphilharmonie Kaliningrad/Königsberg über die Fortsetzung der Konzerte ausgetauscht.

Statt die Geschichte zu verdrängen, scheinen sich die geistigen Schranken auf beiden Seiten zu öffnen. Die lange Anfahrt und die holprigen Straßen könnten in Zukunft tatsächlich das größte Erschwernis auf dem Weg nach Königsberg sein.     Felix Menzel

Foto: Artjom Chatschaturow: Der russische Organist am Manual der Orgel im Königsberger Dom


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