24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
13.02.10 / Meisterliche Papierkunst / Kontur pur: Der Scherenschnitt ist kein altbackenes Kunsthandwerk mehr – Von Indien nach Europa

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-10 vom 13. Februar 2010

Meisterliche Papierkunst
Kontur pur: Der Scherenschnitt ist kein altbackenes Kunsthandwerk mehr – Von Indien nach Europa

Lange Zeit wurden Papierschnitte als Kunsthandwerk abgetan, mittlerweile aber haben die Schattenbilder den Weg ins Museum gefunden. Eine Ausstellung in Zürich zeigt die moderne Variante der Scherenschnitte.

Das Museum Bellerive, ein Haus des Museums für Gestaltung, das sich der Schnittstellen von Kunst und Kunsthandwerk annimmt, präsentiert mit der 7. Schweizerischen Scherenschnitt-Ausstellung des 1986 gegründeten Schweizerischen Vereins Freunde des Scherenschnitts zeitgenössische Arbeiten aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich und den USA. „Das Schaffen zwischen traditionellem Scherenschnitt und künstlerischen Positionen in diversen Papierschnitt-Techniken aus möglichst unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten, ist das Anliegen dieser Ausstellung“, hört man aus Zürich.

„Holde Finsternisse“ nannte Johann Wolfgang von Goethe seine Galerie von Schattenbildern mit Porträts der Weimarer Hofgesellschaft, die er im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Der Dichterfürst selbst ging der damaligen Leidenschaft nach, Schattenbilder zu fertigen – aus Graphit und Tusche. Andere wiederum griffen zur Schere, um in allerkürzester Zeit, die Silhouette ihres Gegenübers festzuhalten. Der Danziger Daniel Chodowiecki, der Pommer Philipp Otto Runge, der Breslauer Adolph von Menzel und später auch der in Königsberg lehrende Schlesier Heinrich Wolff verschrieben sich der „Schwarzen Kunst“, die keineswegs immer nur schwarz, oft auch weiß oder gar bunt war. Treffende Porträts, zarte Blumen oder wilde Gestalten der Phantasie wie die des Märchendichters Hans Christian Andersen entstanden.

Schon als Kind hatte der 1777 im pommerschen Wolgast als Sohn eines Reeders geborene Philipp Otto Runge sich mit der Kunst der Schere beschäftigt und Scherenschnitte gefertigt. Meist waren es Silhouetten oder szenische Darstellungen aus weißem Papier auf blauem Karton, die er unter der Anleitung der Mutter schuf. Und so schrieb er später einmal an seine Mutter: „Ihnen danke ich alles, und es ist mein innigster Wunsch, dass aus allem, was ich hervorbringe, dieses einmal zu sehen wäre, so gehörte Ihnen denn alles an, und ich hätte diesen Strom zu einer lieblichen Quelle zurückgeleitet.“ Runge hatte Erfolg mit seinen Scherenschnitten. Sogar Johann Wolfgang von Goethe schrieb an ihn und bat: „Sie schneiden Blumen und Kränze mit so großer Leichtigkeit aus. Schicken Sie mir doch gelegentlich eine solche Arbeit, damit wir auch hierin uns der Fruchtbarkeit Ihres Talents erfreuen können. Schließlich ersuche ich Sie um Ihre Silhouette und hoffe, für so manches Gute auch künftig etwas Angenehmes erzeigen zu können.“

Auch Heinrich Wolff hatte der „Schwarzen Kunst“ sein Herz zugewandt. Im 18. Jahrhundert in Frankreich eine wahre Modeerscheinung – es gab damals wohl kaum eine Schöne, die sich nicht mit der Schere porträtieren ließ –, war diese Kunstform bald wieder in Vergessenheit geraten.

In dem Vorwort zu dem 1908 erschienenen Band „Erzählungen einer kleinen Schere“, der Schattenrisse von Heinrich Wolff enthält, schreibt der Künstler: „Silhouetten gezeichnet habe ich schon mit fünfzehn Jahren, als ich in einer schlesischen Provinzhauptstadt auf solche Art mich des Abends von der griechischen Grammatik erholte. Später, auf der Kunstschule, lehrte man freilich andere Dinge, und meine schwarzen Männlein und Fräulein schliefen zwölf lange Jahre. In dem Regensommer von 1903 aber wachten sie langsam wieder auf, einem kleinen Mädchen zuliebe, meiner Tochter...“ Wolffs Virtuosität mit der Schere war bald so groß, dass er seine kleinen Figuren ohne jede Aufzeichnung aus dem schwarzen Papier hervorzaubern konnte. Ihren Ursprung hatte diese Kunstform, die heute nicht mehr nur noch auf Jahrmärkten zu finden ist, sondern in die moderne Kunst Eingang gefunden hat, im asiatischen Raum. Bereits im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung konnte man Schattenbilder in Indien finden; später traf man sie in China, Siam und Java an. In Europa dann tritt die Kunstform im Italien des 17. Jahrhunderts auf, bis sie im 19. Jahrhundert geradezu zu einer Sucht wurde. – Der Name stammt übrigens von dem französischen Bankier und Finanzminister Ludwigs XV., Etienne de Silhouette. Er war wegen seiner Sparsamkeit berühmt-berüchtigt und verfügte, dass nur noch schwarzweiße Umrissporträts verschenkt werden dürften. Hohn und Spott verfolgten ihn – alles was, karg, einfach oder ärmlich war, hieß fortan nur à la Silhouette... Zu welch einer Pracht und Kunstfertigkeit sich die Schattenbilder entwickelt haben, zeigt die Ausstellung in Zürich. Rund 40 ausgewählte Positionen der internationalen Gegenwartskunst treten in einen lustvollen Dialog und überraschen durch ungewohnte Techniken und die Verwendung zusätzlicher Materialien. S. Osman

„Scherenschnitte – Kontur pur“ im Museum Bellerive, Höschgasse 3, Zürich, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Fotos: Alt und neu: Estrellita Fauquex’ Scherenschnitt „Schattenspiel“ (2006) und Philipp Otto Runges „Sommertag“ (18. Jahrhundert)   Bilder: Museum Bellerive, Archiv


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren