28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
13.02.10 / Geschickt gefälscht / Reiseführer-Autor bekennt, Ziele nie gesehen zu haben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-10 vom 13. Februar 2010

Geschickt gefälscht
Reiseführer-Autor bekennt, Ziele nie gesehen zu haben

Wem ist es nicht peinlich, wenn alle von ihrem Urlaub erzählen und man als einziger zu Hause geblieben ist? Eine Notlüge muss her. Da werden aus dem Balkon schon mal ein Südseestrand, aus den Topfpflanzen Kokospalmen, aus der Badewanne der Pazifik und aus dem Wäscheberg der Himalaya.

Der 34-jährige US-Autor Thomas Kohnstamm hat Reiseführer für Brasilien und Kambodscha sowie Artikel für das Reisemagazin „Travel + Leisure“ geschrieben. In seiner Lebensbeichte „Die absolut ehrlichen und völlig schamlosen Bekenntnisse eines professionellen Reiseführer-Autors“ packt er aus über die Gepflogenheiten des eigenen Berufsstands.

„Die Kellnerin schlug mir vor wiederzukommen, wenn sie das Restaurant geschlossen habe ... Wir hatten schließlich Sex auf einem Stuhl und dann auf einem Tisch“, berichtet Kohnstamm über Lateinamerika, wo er drei Jahre lang unterwegs war. Später empfahl er das Lokal im Reiseführer mit folgenden Worten: „Eine angenehme Überraschung – und die Bedienung ist sehr freundlich.“ Er ließ sich von Gasthäusern und Hotels einladen, die er bewerten sollte. Sogar mit Drogen handelte Kohnstamm, um den Hungerlohn der Reiseverlage wettzumachen. „Sie zahlen nicht genug für das, was sie erwarten“, sagte der Autor dem „Sunday Telegraph“. Wegen zu knapper Reisekasse habe er einen Beitrag über Kolumbien von seinem Schreibtisch in San Francisco aus verfasst. Die Informationen lieferte ihm eine kolumbianische Freundin, die gerade ein Praktikum in der Stadt machte.

Enthüllungen wie diese sorgten schon vor Veröffentlichung des Buches für Furore. Der LonelyPlanet-Verlag, einstiger Arbeitgeber des Amerikaners, schlug Alarm. Dessen Reiseführer sind die Bibeln der Individualtouristen weltweit und gehen jährlich millionenfach über den Ladentisch. Preist der LonelyPlanet eine Spelunke in Shanghai als Geheimtipp an, dann wird das Restaurant zur Goldgrube. Die Rucksackgemeinde schätzt den Kompass für die Welt vor allem wegen seiner Glaubwürdigkeit. Um die zu retten, holte Verleger Piers Pickard zum Gegenschlag aus: „Die Behauptungen in dem Buch sind wirklich keine zutreffende Darstellung, wie unsere Autoren arbeiten oder was in unseren Reiseführern steht.“ Er teilte zudem mit, die Redaktion prüfe derzeit die betroffenen Titel über Patagonien, Südamerika und die karibischen Inseln. Im Fall Kolumbiens sollte der Autor lediglich über Geschichte, Kultur und Essgewohnheiten des Landes schreiben. „Thomas Aufgabe war es gar nicht, vor Ort zu recherchieren“, erklärt das australische Unternehmen.

Kohnstamms Buch ist dreist, intelligent und irrsinnig komisch. Nach der Lektüre genießt man den LonelyPlanet mit Vorsicht nach dem Motto „Glaube keinem Reiseführer, den du nicht selbst gefälscht hast!“ Sophia E. Gerber

Thomas Kohnstamm: „Die absolut ehrlichen und völlig schamlosen Bekenntnisse eines professionellen Reiseführer-Autors“, Malik Verlag, München 2009, gebunden, 304 Seiten, 16,95 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren