28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.02.10 / Berlin wird älter und ärmer / Senats-Studie sieht Kostenlawine auf die Hauptstadt zurollen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-10 vom 20. Februar 2010

Berlin wird älter und ärmer
Senats-Studie sieht Kostenlawine auf die Hauptstadt zurollen

Die Überalterung seiner Bevölkerung bürdet Berlin immer höhere Kosten auf. Die Politik steht der Entwick­lung mehr oder minder hilflos gegenüber.

Zuerst musste die Mutter von Kurt W. ins Heim. Sie ist 82 und altersdement. Es hat nur ein halbes Jahr gedauert, bis nun auch der 86-jährige Vater nicht mehr allein bleiben konnte. Windeln, füttern, waschen – das ist zu viel für den 42-jährigen W. aus Potsdam und seine zwei Schwestern. Alle drei arbeiten. „Es ging einfach nicht mehr“, sagt Kurt W. aufgelöst.

Das ist natürlich der Extremfall. Beide Eltern wurden fast gleichzeitig so hilfsbedürftig, dass sie ins Heim mussten. Und das, obwohl drei Kinder da sind, die sich um die Eltern kümmern könnten, wenn sie nicht arbeiten gehen müssten. Früher wäre eine der Schwestern zu Hause geblieben und wäre dafür später beim Erbe von den Geschwistern bevorzugt worden. Heute ist das anders.

Ein Nachrichtenmagazin beschreibt die Situation so: „Früher gab es im Zweifel Tante Ilse, die unverheiratet war und daher zuständig dafür, die alten Eltern zu pflegen bis zu deren Tod. Tante Ilse gibt es nicht mehr, oder sie ist mit dem Rucksack unterwegs, am anderen Ende der Welt.“ Das Auseinanderlaufen der klassischen Familie bedeutet nicht nur, dass es immer weniger Kinder in Deutschland gibt. Die Alten werden auch immer einsamer und müssen immer öfter ins Heim. Und im Langzeittrend wird dies immer mehr Alte treffen, wie eine Studie des Berliner Senats bestätigt. Die Pflege der Senioren gibt es jedoch nicht umsonst. Die Studie ergab: Auf Berlin rollt eine Kostenlawine zu. Die Ursache ist die immer weiter steigende Lebenserwartung.

Die Prognose geht davon aus, dass im Jahr 2030 die Männer in Berlin durchschnittlich 83,6 Jahre alt werden (6,1 Jahre älter als heute) und Frauen 87,4 Jahre (plus 4,8 Jahre). Je weiter die Lebenserwartung steigt, desto höher auch die Kosten für die Pflege.

Ist das Vermögen der Pflegebedürftigen aufgebraucht, so springt das Sozialamt ein. Leider geschieht dies meist sehr schnell, weil Pflege im Heim teuer ist. Kurt W. rechnet mit 1500 Euro monatlich allein für den Vater. Da sind das Bankguthaben oder der Erlös vom Verkauf des Häuschens schnell aufgebraucht. Am Ende springt das Sozialamt ein. Schon jetzt zahlt es in Berlin 311 Millionen Euro für pflegebedürftige Senioren pro Jahr. 2030 werden es 500 Millionen sein, vermutet der Senat. Die Zahl der Pflegebedürftigen liegt dann bei 170000, 74000 mehr als 2009. Derzeit leben in Berlin 1,2 Millionen Menschen über 50. In den nächsten 20 Jahren werden 1,5 Millionen Berliner über 50 sein, und das bei einer vermutlich in etwa gleichbleibender Gesamtbevölkerungszahl von 3,5 Millionen.

Die Parteien reagieren unterschiedlich. Die FDP fordert, das Image des Altenpflegers zu verbessern. Die SPD lobt ein Spaziergangsprogramm für Senioren in Lichtenberg und will 6000 neue Studienplätze schaffen, um mehr junge Leute in die Stadt zu holen und so der Überalterung entgegenzuwirken. Die CDU fordert „mehr Arbeitsplätze, mehr Kitas, mehr Sicherheit und weniger Einwanderung in die Sozialsysteme“, um das Kinderkriegen zu fördern und die Belastung der Stadtkasse an anderer Stelle zu mindern. Es sieht so aus, als würden die Politiker parteiübergreifend ihre jeweiligen Spezialforderungen hervorholen, weil sie im Hinblick auf das Gesamtproblem ratlos sind.

Wenig Beachtung fand in allen Konzepten der nachweisbare Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Schwäche und Überalterung in einer Region. Für den rot-roten Senat steht der wirtschaftliche Aufschwung nicht gerade oben auf der Prioritätenliste. Doch er wäre nötig, um die Stadt anziehend für  mehr fleißige und gut ausgebildete junge Menschen zu machen, die das Durchschnittsalter wieder senken und über ihre Steuern wieder mehr Geld in die Staatskasse spülen.

Verglichen mit Brandenburg jedoch schlägt sich sogar Berlin noch ganz gut. Denn im Umland der Hauptstadt wird sich in den kommenden Jahrzehnten ein fundamentaler Veränderungsprozess abspielen: Bislang haben Brandenburger Rentnerhaushalte vergleichsweise viel Geld, denn in der DDR haben fast immer Mann und Frau gearbeitet, während sich im Westen Senioren oft die Rente des Mannes teilen müssen. Zudem weisen frühere DDR-Bewohner meist lückenlose Erwerbsbiographien auf.

Daher rührt heute der relative Wohlstand der Ruheständler in den Neuen Ländern. Das ändert sich aber, wenn die Generation, die um 1990 in Rente gegangen ist, nicht mehr da ist. Danach stieg die Zahl der während ihres Arbeitslebens schlecht oder gar nicht bezahlten Personen stark an. Sie werden keine große Rente haben. Und oft auch keine Angehörigen, die sie zu Hause pflegen könnten, denn seit der Revolution haben 1,5 Millionen Menschen die Neuen Länder verlassen, meistens die Jungen und Gutausgebildeten.

Bis 2030 wird allein Brandenburg noch mal 13 Prozent seiner Einwohner verlieren, prognostizierte das Berlin-Institut für Bevölkerungsentwicklung bereits 2004. Kurt W. aus Potsdam meint deswegen – nicht einmal wirklich zynisch: „So viele Altersheime, wie wir bräuchten, wenn wir mal alt sind, kann es gar nicht geben.“ Markus Schleusener

Foto: Bei immer mehr Alten werden die Pflegekosten in  Zukunft immer schwerer zuschultern sein: Seniorin in der Berliner Siemensstadt. Bild: laif


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren