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20.02.10 / Liga der außerordentlich Mittelmäßigen / Die Wirtschaftskrise zwingt die neue EU-Kommission zum Handeln − starke Persönlichkeiten nicht in Sicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-10 vom 20. Februar 2010

Liga der außerordentlich Mittelmäßigen
Die Wirtschaftskrise zwingt die neue EU-Kommission zum Handeln − starke Persönlichkeiten nicht in Sicht

Mit einigen Wochen Verspätung wurden die neuen EU-Kommissare vom Parlament in Brüssel bestätigt. Auf sie warten Aufgaben wie die Neuregelung der Bankenaufsicht, Einhaltung des Euro-Stabilitätspaktes und EU-Erweiterung.

Bei der Fußball-WM dieses Jahr hätte die neue EU-Kommission unter dem Vorsitz von José Manuel Barroso keine Chance: Nach wochenlangem Gezerre um Positionen und einer Umbesetzung in letzter Minute ging die Mannschaft drei Monate später als geplant an den Start. Trainer Barroso konnte bereits während seiner ersten Amtszeit wenig überzeugen. Der Portugiese verlor etliche Heimspiele, etwa Strategien für mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in Europa zu entwickeln, als auch Auswärtsspiele, wie verbindliche Klimaschutzziele auf dem Kopenhagener Gipfel zu vereinbaren. Kein Wunder, dass die Fans dem Gremium, das Europas Politik in den kommenden fünf Jahren lenken soll, davonlaufen. Dies hat jedoch nicht nur inhaltliche, sondern auch personelle und strukturelle Ursachen. Kaum jemand kennt die Präsidenten, Vizepräsidenten, Kommissare und Ausschussvorsitzenden und ihre Kompetenzen – geschweige denn ihre Vereinssatzung: den Lissabon-Vertrag.

Unter den Spielern, die Barroso aus den Parteifamilien der Christdemokraten (EVP), Sozialdemokraten (SPE) und der Liberalen (ELDR) um sich gereiht hat, „befindet sich kein einziger Superstar“, bilanziert Katinka Barysch vom Londoner Centre for European Reform. Die zweitklassige Besetzung konterkariert die Erstklassigkeit der Probleme, denen sich die Kommission gegenübersieht.

Beispiel Finanzkrise: Viele Staaten der Gemeinschaft kämpfen infolge der Wirtschaftskrise gegen Schulden in Rekordhöhe und eine massiv steigende Arbeitslosigkeit. Hinzu kommen der wachsende Konkurrenzdruck aus Ländern wie China, Indien oder Brasilien sowie die Belastung der Steuer- und Sozialkassen durch die Überalterung der eigenen Gesellschaft. Gleich mehrere Kommissare versuchen, dieser vielschichtigen Problemen Herr zu werden. Joaquín Almunia (SPE), der bisher für Wirtschaft und Währung zuständig war, kümmert sich fortan um das Wettbewerbsressort. Der Spanier verteidigt die Errungenschaft des gemeinsamen europäischen Marktes gegen protektionistische Maßnahmen. Er fordert, die Wirksamkeit staatlicher Subventionen in Krisenzeiten genau zu prüfen und in Not geratene Banken umzustrukturieren.

Almunias altes Amt übernimmt der Liberale Olli Rehn, der die Einhaltung des Stabilitätspaktes überwacht. Keine leichte Aufgabe für den Finnen angesichts der dramatischen Finanzlage Griechenlands, die das Land nahe an den Staatsbankrott getrieben hat. Seit Anfang Februar steht der griechische Haushalt unter EU-Kontrolle. Als Konsequenz aus dem Skandal um die gefälschten Schuldenstatistiken will Rehn dem europäischen Statistikamt Eurostat künftig das Recht einräumen, die nationalen Ämter der Mitgliedstaaten zu beaufsichtigen.

Der Franzose Michel Barnier besetzt das wichtige Binnenmarktressort. Der konservative Politiker setzt sich für eine stärkere Regulierung und Aufsicht an den Finanzmärkten sowie für eine Begrenzung von Banker-Boni ein. Seine Nominierung sorgte bei den Briten für Furore, die massive Jobeinbrüche in der Banken- und Versicherungsbranche befürchten. Bei seiner Anhörung im EU-Parlament unterstrich Barnier, als EU-Kommissar weder Anweisungen aus Paris noch aus London zu folgen.

Beispiel EU-Erweiterung: Mit dem Tschechen Stefan Füle ist erstmals seit der EU-Osterweiterung 2004 ein Politiker aus den neuen Mitgliedsländern für diesen Posten zuständig. Der den Sozialdemokraten nahestehende Kommissar, der in die Fußstapfen Günther Verheugens tritt, will in den nächsten fünf Jahren „neue Mitglieder in die EU-Familie einladen“. Geplant sind Verhandlungen mit den Kandidaten Kroatien, Mazedonien und Türkei. Auch die westlichen Balkanländer sollen eine Beitrittsperspektive bekommen und Bürger aus Albanien und Bosnien-Herzegowina demnächst visafrei in die EU reisen dürfen. In Deutschland stoßen Füles Vorhaben auf wenig Gegenliebe. Laut Eurobarometer lehnten 2009 66 Prozent der Deutschen künftige EU-Erweiterungen ab. Gründe für die Skepsis sind die Angst vor Zuwanderung, Arbeitsplatzverlust und steigender Kriminalität sowie demokratische Defizite und die Befürchtung einer Islamisierung der Gesellschaft im Falle der Türkei.

Der Erweiterungskommissar soll in enger Absprache mit dem Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik zusammenarbeiten. Das Amt des „EU-Außenministers“, das neben dem Amt des ständigen Ratspräsidenten mit dem Lissabon-Vertrag neu geschaffen wurde, bekleidet die Britin Catherine Ashton. In ihrer Rolle als ehemalige EU-Handelskommissarin brachte sie einen Vertrag über Bananenhandel mit Amerika und ein Freihandelsabkommen mit Südkorea zustande. Zu Themen wie Haiti, Iran, Jemen und Kuba schwieg sie bisher.

Beispiel Klimaschutz und Energiepolitik: Die Dänin Connie Hedegaard ist ein alter Hase in Sachen Klimaschutz. Die konservative Politikerin bereitete schon den Weltklimagipfel in Kopenhagen vor. Ihr Parteikollege, der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, steht energiepolitisch für den CO2-Abbau in der Industrie und eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. Er ist jedoch auch begeisterter Anhänger von Solarenergie sowie Wind- und Wasserkraft.     Sophia Gerber

Foto: Neue Kommissare: José Manuel Barroso stellt im EU-Parlament seine Mannschaft vor.    Bild: AP


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