26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.02.10 / Furcht vor 1917 / Russische Regierung hat Angst vor Unruhen, die ihre Macht gefährden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-10 vom 20. Februar 2010

Furcht vor 1917
Russische Regierung hat Angst vor Unruhen, die ihre Macht gefährden

Die Serie von Protestkundgebungen in Russland geht weiter: In Samara demonstrierten 1000 Menschen gegen  steigende Arbeitslosigkeit und die Verschlechterung der Lebensbedingungen, in Irkutsk gingen Demonstranten gegen die Verschmutzung des Baikal-Sees durch die Zellulosefabrik auf die Straße, in Moskau demonstrierten wieder 200 für den Erhalt des Dorfes Retschnik, das einem mondänen Villenviertel weichen soll. Parteinamen wie „Linke Front“ und „Wille“ deuten auf eine zunehmende Politisierung der Protestierenden hin. Bei allen Kundgebungen ist auch die Bewegung „Solidarnost“ mit von der Partie, die den Rücktritt Wladimir Putins fordert.

 Während in den Regionen der Unmut wächst, feiert Premier Putin unbeirrt und selbstsicher seine politischen Erfolge, zuletzt die Zustimmung Finnlands zur Nord-Stream-Pipeline. Zwar hatte Putin unmittelbar nach der Massenkundgebung in Königsberg die führenden Köpfe seiner Partei „Einiges Russland“ zu einer Krisensitzung in Moskau zusammengerufen, jedoch hob er dort nur Postives hervor. Zum Beispiel habe die Regierung im vergangenen Jahr 400 Gesetze durchgesehen, und im Rüstungsexport hatte die Wirtschaft Zuwächse zu verbuchen. Mit keinem Wort ging Putin auf die Vorwürfe von Sergej Mironow, dem Sprecher des Oberhauses der Staatsduma, oder auf den Massenprostest in der Exklave Königsberg gegen ihn, ein. Stattdessen delegierte er die Aufgabe, „mit den Skandalen endlich Schluss zu machen“, an die Partei, wohl davon ausgehend, dass die schon wissen werde, wie sie das zu bewerkstelligen habe. Doch im Gegensatz zur selbstsicheren Haltung des Regierungschefs gab es innerhalb der Partei keine einheitliche Linie. Von dem Ausmaß der Prostete in Königsberg überrascht, war die Reaktion von Verwirrung und der tiefen Beunruhigung geprägt, die Opposition könnte sich zu einer ernstzunehmenden Kraft bündeln.

Es folgten spontane, widersprüchliche und emotional geprägte Äußerungen. Von Beschimpfungen und Rücktrittsforderungen gegen Sergej Mironow bis zu einer Gesetzesänderung zur Ernennung der Senatoren reichten die Vorschläge. Auf Diskussionen mit der Opposition wollte „Einiges Russland“ sich auf keinen Fall einlassen. Stattdessen griff die Partei zu altbewährten Propagandamitteln wie die der Gegendemonstration. In Irkutsk ließ sie Mitarbeiter der Zellulosefabrik zur Kundgebung antreten. Für die Situation in Königsberg wurde der für die Region zuständige Parteisekretär Sergej Bulytschew verantwortlich gemacht und entlassen. Die Partei sammelt „Kompromat“ (kompromittierendes Material), wie alte Gerichtsunterlagen über ihre politischen Gegner, damit diese nicht zur nächsten Wahl zugelassen werden können. Trotz dieser „altbewährten“ Vorgehensweisen wächst die Sorge innerhalb der Partei, dass die Situation im Land außer  Kontrolle gerät. Sie wird getrieben von der Angst, dass sich eine Revolution wie 1917, die ebenfalls mit sozialen Protesten begonnen hatte, wiederholen könnte.

Ein Zerfall des Regierungstandems könnte weiter zur Instabilität beitragen. Personalentscheidungen des Präsidenten in den Regionen heizen die Gerüchte über einen Machtstreit weiter an, wie die Entlassung des seit 1989 amtierenden Regierungschefs Alexander Filipenko im Autonomen Gebiet Chanty Mansijsk, den Medwedew durch die einflussreiche Gas-Lobbyistin Natalja Komarowa ersetzte. Manuela Rosenthal-Kappi


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren