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20.02.10 / Unheilvolle Allianz / Die Geschichte West-Berlins ist auch von Krisen und Skandalen geprägt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-10 vom 20. Februar 2010

Unheilvolle Allianz
Die Geschichte West-Berlins ist auch von Krisen und Skandalen geprägt

20 Jahre nach dem Mauerfall verwischen sich die Konturen. Berlin ist wieder eine zusammenhängende Stadt, die politischen und kulturellen Gewichte verlagern sich wieder ins Zentrum, das einstige und gegenüber Ost-Berlin („Hauptstadt der DDR“) größere West-Berlin verschwimmt in der Erinnerung immer mehr. Der aus Österreich stammende, seit Jahrzehnten in West-Berlin lebende Publizist und Hochschullehrer Wilfried Rott hat jetzt eine ungemein anregende Geschichte des westlichen Berlin geschrieben, bei der man nicht weiß, ob Stolz oder Verzweiflung angebracht ist.

Rott nennt die Halbstadt inmitten der DDR „eines der merkwürdigsten politischen Gebilde des 20. Jahrhunderts, das mit all seinen Eigenheiten oft die Grenzen des Bizarren streifte“. Mit völkerrechtlichen Einschränkungen zur Bundesrepublik gehörend und unter Hoheit der Alliierten stehend, eingeschlossen von einer feindlichen Umgebung lebte die Zwei-Millionen-Stadt vier Jahrzehnte zwischen schleichender Provinzialisierung und Metropolenwahn, schrieb – oder durchlebte zumindest – mit der Blockade, dem Mauerbau und dann dem Fall der Mauer drei weltgeschichtliche Momente wie kaum eine andere Stadt nach 1945.

In zwölf Kapiteln erzählt der Autor das Auf und Ab der Stadt, die ständig „Modell“ sein wollte und sich oft wie auf einem Pulverfass wähnte. Er schildert mit Teilnahme, aber nie im Überschwang, die Standhaftigkeit der Menschen während Blockade, Berlin-Ultimatum und Mauerbau, hebt mit Wärme die zwei bedeutendsten Politiker (Ernst Reuter und Willi Brandt) hervor und geht mit Detailwissen auf deutschlandpolitische oder innerstädtische Querelen ein, die selbst für Leser, die sich beim Thema auszukennen meinen, noch frappierend sind.

Die geistreiche Personenzeichnung aller Regierenden Bürgermeister zeigt zugleich, wie kläglich fast alle nach Brandts Abgang endeten.

Was man letztlich weiß, bei dieser Zusammenfassung jedoch wieder erschauern lässt, ist der Umstand, dass die Geschichte West-Berlins ab Mitte der 70er Jahre mehr und mehr zu einer chronique scandaleuse wird.

Die durchaus unheilvolle Allianz von Politik, Finanz- und Bauwirtschaft führte zu dem trüben Sumpf von Bestechung, Filz und Skandalen, der noch immer fassungslos macht und fürchten lässt, dass er bis heute nicht ausgetrocknet ist.

Namen wie Klingbeil, Kittelmann, Antes, Garski, Landowsky oder Kressmann-Zschach stehen nur für die schlimmsten Auswüchse, die sich vielleicht nur in dieser eingemauerten, hochsubventionierten Stadt ausbilden konnten. Dem steht, und das hebt der Autor Wilfried Rott zu Recht hervor, durch all die Jahre der unerschütterliche Selbstbehauptungswille der Menschen gegen-über, was letztlich entscheidend für das Überleben war.

Wer die Jahre anteilnehmend oder in der Stadt selbst erlebt hat, wird manches anders sehen. In den 50er Jahren war West-Berlin trotz schwierigster wirtschaftlicher Umstände doch Leuchtturm hin nach Osten, aber auch nach Westen; die Stadt war Vorreiter in Sachen Kultur, in der Mode (Uli Richter, Heinz Östergard), im Städtebau (die erste Stadtautobahn, sozialer Wohnungsbau, allerdings dann auch unmäßige Bauwut), auch Ort einer neuen Jugendkultur.

Manchmal setzt Rott die Sonde sehr kritisch an, was freilich den Rang dieses Buches nicht schmälert, dessen Fazit zweifellos richtig ist: „West-Berlin war eine unmögliche Stadt, in der das Bestehende spätestens mit dem Mauerbau das Vorstellbare übertroffen hat.“           Dirk Klose

Wilfried Rott: „Die Insel – Eine Geschichte West-Berlins 1948 bis 1990“, C. H. Beck Verlag, München 2009, gebunden, 478 Seiten, 24,90 Euro


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