29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
27.02.10 / Kein Geld ohne Gegenleistung / Vorbild Niederlande: Was bei Hartz IV besser werden könnte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-10 vom 27. Februar 2010

Kein Geld ohne Gegenleistung
Vorbild Niederlande: Was bei Hartz IV besser werden könnte

Guido Westerwelles polemischer Vorstoß von der „spätrömischen Dekadenz“ hat zumindest eines bewirkt: In Deutschland begann eine überfällige Diskussion über die Hartz-IV-Reformen. Konkrete Vorschläge müssen nun auf den Tisch, fordern auch Unions-Politiker. Wie es besser und billiger machbar ist, zeigt ein Blick auf unser Nachbarland Holland.

In Deutschland leben rund fünf Millionen Erwachsene (mit zusätzlich 1,8 Millionen Familienangehörigen) von Hartz-IV-Leistungen. Das kostet den Steuerzahler rund 40 Milliarden Euro pro Jahr. Während die Zahl der Arbeitslosen in den vergangenen Jahren um 1,5 Millionen sank, ist die Zahl der Hartz-IV-Bezieher fast konstant geblieben.

Das von Westerwelle gebrachte Beispiel eines verheirateten und arbeitenden Kellners (mit zwei Kindern), der monatlich 100 Euro weniger als ein vergleichbarer Hartz-IV-Empfänger zur Verfügung hat, trifft die Moral von 40 Millionen arbeitenden Bürgern. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hatte schon im Januar von der „Perversion des Sozialstaatsgedankens“ gesprochen, wenn man ohne Arbeit das Gleiche wie mit Arbeit bekommen könne. Gleichzeitig machte sich Koch für das holländische Modell der „Arbeitsakademien“ stark. Galt früher in Holland − ähnlich wie bei uns heute − der Grundsatz „Anspruch auf Sozialhilfe“, so ist das vierstufige Förderprogramm der holländischen Jobcenter konkreter: „Der Kunde hat Anspruch auf Arbeit, und solange es ihm nicht gelingt, sie zu finden, hat er zeitweilig Anspruch auf ein Einkommen.“

In der Praxis sind die „Kunden“ der holländischen Arbeitsakademien verpflichtet, 32 Stunde je Woche zu allgemeinen Einführungskursen, spezifischen Schulungen oder Praktika zu erscheinen. Ziel ist es, nach spätestens eineinhalb Jahren einen Arbeitsplatz zu erhalten − nicht unbedingt in der näheren Umgebung. Häufig werden auf diese Weise die in den Niederlanden gängigen Teilzeitstellen oder auch befristete Arbeitsverträge vermittelt.

Die Erfolge dieses Systems sind beeindruckend: 40 bis 50 Prozent der Arbeitssuchenden finden in den ersten Arbeitsmarkt zurück. Zwischen zehn und 15 Prozent der Teilnehmer verweigern sich allerdings einer aktiven Zusammenarbeit und werden als Folge aus dem Programm und von Geldleistungen ausgeschlossen.

„Wer Geld von der Gemeinschaft bekommt, muss auch etwas dafür tun“, das ist der holländische Grundsatz. In dem 120000 Einwohner zählenden Dordrecht muss man sich spätestens am dritten Tag der Arbeitslosigkeit im „Werkplaats“ melden. Wer sich krank meldet, wird zum Amtsarzt geschickt. Wer nach sechs Wochen noch keine Arbeit gefunden hat, darf in einem städtischen Reintegrationsbetrieb arbeiten. Dort erhält er einen Praktikumsplatz oder eine Schulung. In Amsterdam gibt es für Lanzeitarbeitslose die „soziale Aktivierung“ in Form eines Sporttrainings oder einer gemeinnützigen Tätigkeit. Die Anreize zur Arbeitsaufnahme sind in Holland für die Arbeitssuchenden sehr konkret. Ohne Gegenleistung kein Geld.

Der Systemwechsel gelang in Holland übrigens erst, als die Verteilung der Gelder zwischen Staat und Kommunen eindeutig geklärt  wurde. Seit die Kommunen die alleinigen Träger der Arbeitsakademien und Jobcenter sind, ist die Vermittlung wesentlich erfolgreicher. Die Kommunen erhalten ein vom Staat jährlich festgelegtes Budget für die Arbeitsvermittlung. Sind sie erfolgreich, dürfen die Kommunen überschüssige Beträge behalten. Im umgekehrten Fall zahlen sie drauf. Auch dieser Anreiz wirkt.      Hinrich E. Bues

Foto: Küchenhilfe in der Schulkantine: Es gibt auch für Arbeitslose viele Möglichkeiten, der Gemeinschaft nützlich zu sein.            Bild: imago

 

Zeitzeugen

Guido Westerwelle – „Jeder, der jung und gesund ist und keine Angehörigen zu betreuen hat, muss zumutbare Arbeiten annehmen – sei es in Form von gemeinnütziger Arbeit, sei es im Berufsleben, sei es in Form von Weiterbildung“, so der FDP-Chef. Er betont, mit dieser Forderung „die Schwachen vor den Faulen schützen“ zu wollen.

 

Volker Kauder – „Auch ich habe mich gewundert, warum bei so viel Hartz-IV-Empfängern die Stadtwerke niemanden haben einsetzen können, um die Gehwege frei zu machen“, entgegnete der Unions-Fraktionschef auf den Vorschlag Westerwelles, junge Hartz-IV-Empfänger zum Schnee schippen abzustellen. Kauder war nicht der einzige aus den Reihen der CDU/CSU, der Westerwelle in einigen Punkten beipflichtete.

 

Andrea Nahles – „Guido Westerwelle ist ein Zyniker, weil er Geringverdiener gegen Arbeitslose in Stellung bringt, um von den wahren Sozialbetrügern abzulenken, die Millionen an der Steuer vorbei ins Ausland schaffen“, kontert die SPD-Generalsekretärin. Gerade Westerwelles FDP habe mit ihrer Blockade von flächendeckenden Mindestlöhnen dazu beigetragen, dass immer öfter Niedriglöhne unter Hartz-IV-Niveau gezahlt würden.

 

Michael Sommer – „Richtig ist, dass das Leistungsprinzip kaum mehr Gültigkeit hat. Das liegt jedoch nicht an zu hohen Sozialleistungen, sondern an zu niedrigen Löhnen“, erwidert der DGB-Chef Westerwelles Äußerungen. Die Gewerkschaft gibt der Energiewirtschaft, Banken und Versicherungen, Softwarefirmen, Rechtsanwälten, Notaren, Apothekern und selbständigen Ärzten die Schuld daran, dass sich Leistung in Deutschland für Geringqualifizierte nicht mehr lohne.

 

Heinrich Alt – „In den letzten Jahren ist die Konzessionsbereitschaft Arbeitsuchender deutlich gestiegen“, gibt das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit zu bedenken. So würde etwas mehr als ein Viertel von jenen, die aus der Grundsicherung in Beschäftigung gehen, unterhalb ihres Qualifikationsniveaus arbeiten. Dies verdeutliche, dass diese Menschen sich nicht nur vom ökonomischen Kalkül leiten lassen würden, sondern dass sie etwas leisten wollten.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren

Warning: file_get_contents(https://paz.de/lib/extern/sidebar.php): failed to open stream: Connection refused in /homepages/10/d855424685/htdocs/wrapper.php on line 48

Warning: file_get_contents(https://paz.de/lib/extern/footer.php): failed to open stream: Connection refused in /homepages/10/d855424685/htdocs/wrapper.php on line 53