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27.02.10 / Erfüllter Lebensabend in der Fremde / An Alzheimer erkrankte Deutsche und Schweizer haben in Thailand hervorragende Pflege gefunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-10 vom 27. Februar 2010

Erfüllter Lebensabend in der Fremde
An Alzheimer erkrankte Deutsche und Schweizer haben in Thailand hervorragende Pflege gefunden

Bedingt durch die sich verändernde Altersstruktur in Deutschland wird die Zahl der Demenzkranken bis zum Jahr 2050 von heute 1,1 Millionen auf zirka 2,6 Millionen steigen, sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt. Jahr für Jahr treten mehr als 250000 Neuerkrankungen auf.

Als Pflegeparadies für alte, hilfsbedürftige Menschen aus Europa ist Thailand eigentlich nicht bekannt. Und doch gibt es in Chiang Mai, der Provinzhauptstadt im bergigen Norden, eine Einrichtung, in der Alzheimerpatienten aus Deutschland und der Schweiz liebevoll bis zu ihrem Lebensende betreut werden. „Baan Kamlangchay“, das „Haus zur Begleitung der Herzen“, wurde vor knapp acht Jahren von Martin Woodtli gründet.

Als der aus Münsingen in der Schweiz stammende Sozialarbeiter seine Mutter nach Thailand brachte, war sie 73 Jahre alt und noch nie zuvor in diesem Land gewesen; sie beherrschte dessen Sprache nicht und kannte sich mit dessen Sitten nicht aus. Ärzte und Freunde hatten ihm von diesem Vorhaben abgeraten. Man bringt einen Menschen, der sich schon nicht mehr in seinem ihm vertrauten Umfeld zurechtfindet, nicht dahin, wo er sich überhaupt nicht auskennt, hatten sie gesagt.

„Im Pflegeheim“, erklärt Woodtli, „hätte man sie sicherlich mit Medikamenten ruhig stellen müssen, weil sie sehr aktiv war, das wollte ich nicht. Die Pflegerinnen und Pfleger haben ja kaum Zeit für die Patienten. In Thailand ist eine bessere Betreuung möglich – zu einem günstigeren Preis, deshalb bin ich mit meiner Mutter nach Chiang Mai gezogen“, so Woodtli. Hier hatte er bereits einige Jahre zuvor gelebt und für „Ärzte ohne Grenzen“ Hilfsprojekte aufgebaut. Er wusste, dass in Thailand mehrere Generationen unter einem Dach wohnen und die Jungen wie selbstverständlich für alte und gebrechliche Familienmitglieder sorgen.

Ursprünglich wollte er nur einen Monat bleiben, um zu sehen, wie seine Mutter reagiert. Als er Bekannten in der Schweiz von der positiven Entwicklung berichtete, erzählten sie es weiter. So ist das Unternehmen entstanden. „Wir haben 40 Angestellte und beherbergen zur Zeit zehn Patienten, acht aus der Schweiz und zwei aus Deutschland“, erklärt Woodtli. „Auf einen Patienten kommen drei Pflegerinnen, die sich abwechseln. Die Demenzkranken werden rund um die Uhr betreut, machen Ausflüge, sitzen auf der Terrasse oder betätigen sich kreativ“, fährt er fort. Nachts schläft die jeweilige Pflegeperson auf einer Matratze vor dem Bett. Die große Nähe zu den Patienten ist für die Pflegerinnen normal. Auch Körperkontakte, die bei den Patienten ein zentrales Bedürfnis darstellen, sind selbstverständlich. „Das Wichtigste aber ist, dass die Betreuung von Herzlichkeit geprägt ist. Das hängt nicht zuletzt mit der Religion zusammen. Nach buddhistischem Glauben wird Aufopferung für andere Menschen im nächsten Leben belohnt, und das hat gesellschaftliche Auswirkungen: Der Pflegeberuf ist in Thailand angesehen und wird verhältnismäßig gut bezahlt. Die Pflegerinnen sind entsprechend motiviert und üben ihren Beruf mit Freude aus“, weiß Woodtli.

Der Aufenthalt in „Baan Kamlangchay“ kostet rund 2000 Euro im Monat, und natürlich ist das weniger, als ein solcher Platz in der Schweiz oder in Deutschland kostet. Um das Personal kümmert sich vor allem seine Frau Nid, die er in einem Friseursalon kennengelernt hat.

Nid steht gerade im Haupthaus und schneidet den Patienten die Haare. Gerade ist Phillippina an der Reihe. Unaufhörlich redend, das rechte Bein an den Körper gezogen, sitzt die 67-Jährige mit dem bunten Umhang auf dem Stuhl. Wenn sie während ihrer Erzählung darüber bekümmert wirkt, dass sie nicht weiter weiß, nimmt Nid sie in den Arm. Wenn sie schimpft, legt Nid ihr sanft die Hand auf die Schulter.

An einem Punkt der Geschichte lacht Philippina laut auf, und Nid lacht mit. Als sich Philippina nach dem Friseurtermin mit der Hand durch ihre Haare fährt, beugt sich Nid hinab, so dass sie auch ihr durch die Haare streichen kann. Es ist die Art von Konversation, die Nid und Philippina miteinander führen können.

Die Sprache nicht zu verstehen, kann zu Beginn ein Problem sein. „Bei zunehmendem Verlust der kognitiven und verbalen Fähigkeiten ist die Sprache aber unbedeutend“, erklärt Woodtli, „der Demenzkranke sucht nach anderen Kommunikationsformen. Auch für die Pflegerinnen gibt es einen Vorteil: Demenzkranke beschimpfen einen manchmal, und man gerät in Versuchung, mit ihnen zu streiten. Ohne Sprache passiert das nicht“, so Woodtli. Und was die Herausnahme aus dem vertrauten Umfeld betrifft, denkt er nicht, dass Demenzkranke ihre Heimat vermissen: „Sie leben in der Welt der bleibenden Erinnerungen, die sie atmosphärisch einordnen. Wo sie sich befinden, spielt dabei keine Rolle.“ Auch seine Mutter lief damals über den Marktplatz von Chiang Mai, als sei es der von Münsingen, und einmal deutete sie scheinbar willkürlich auf ein Haus und sagte, dort sei sie als Kind zu Schule gegangen. Im Fluss von Chiang Mai sehen manche den Rhein. Für Bertha war es der Bodensee: „Ach, der Bodensee ist heute wieder friedlich“, pflegte die 82-Jährige zu sagen, wenn die Sonne über dem Fluss Ping unterging. Ähnlich verhält es sich mit Bezugspersonen: Demenzkranke im fortgeschrittenen Stadium erkennen Angehörige nicht und vermissen sie somit wohl auch nicht. „Unsere Patienten erleben in der letzten Lebensphase schöne Momente, und darauf kommt es an“, meint Woodtli.      C. Weinert

Foto: Andere Welt: Der demenzkranke Patient genießt das bunte Treiben in Thailand.     Bild: Kathrin Harms, Zeitenspiegel


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