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27.02.10 / Vor- und Nachteile des Lebens im Altenstift / Liselotte Vogel schrieb einen Erfahrungsbericht über den Umgang mit dem eigenen Alter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-10 vom 27. Februar 2010

Vor- und Nachteile des Lebens im Altenstift
Liselotte Vogel schrieb einen Erfahrungsbericht über den Umgang mit dem eigenen Alter

Solange ich wenigstens noch kriechen kann, bleibe ich hier.“ Mit diesen Worten macht der 89-Jährige seiner Enkelin unmissverständlich klar, was er von den Hochglanzprospekten von verschiedenen Seniorenheimen in ihren Händen hält. „Aber Carla“, wendet diese ein und erinnert an seine gehbehinderte Lebensgefährtin, doch der trotzige Blick zeigt an, dass diese entweder mit dem dreistöckigen Reihenhaus weiter klarzukommen hat – immerhin hat er ihr einen Treppenlift einbauen lassen – oder eben alleine ausziehen muss. Alle Argumente verhallen unbeantwortet, denn seine Selbständigkeit, sein Eigentum, die Möglichkeit, im Garten graben zu können, und seine Garage als Bastel- und Rück-zugsort will er sich auf keinen Fall nehmen lassen.

Liselotte Vogel, Ehefrau des SPD-Politikers Hans-Jochen Vogel, reagierte ähnlich abwehrend, als ihr Mann ihr im Alter von 66 Jahren mitteilte, sie sollten sich überlegen, in welches Wohnheim sie ziehen wollten. Doch Stück für Stück freundete sie sich mit dem Gedanken an und da die Warteliste ihres Wunschwohnstiftes lang war, hatte sie auch noch einige Jahre Zeit, sich seelisch auf die Veränderung einzustellen. 2006 war es dann so weit und die 1927 Geborene bezog mit ihrem Mann eine Wohnung in einem Münchner Altenstift.

In „Ich lebe weiter selbstbestimmt – Für einen Umgang mit dem eigenen Alter“ teilt Liselotte Vogel ihren Lesern ihre Erfahrungen mit. Sie führt Vor- und Nachteile an und erzählt immer wieder aus ihrem eigenen Leben. Von ihrer Mutter, die ihre eigene Mutter gepflegt hat, und von sich selbst, die sie ihren Kindern nicht die Last der Altenpflege aufbürden möchte. „Die Zeiten haben sich geändert. Im Haushalt meiner Eltern gab es außer einer Putzhilfe kein Personal, aber meine Mutter war nicht berufstätig und hatte Zeit, sich um die Großmutter zu kümmern. Heutzutage gibt es das kaum mehr, die Frauen sind selbst beruflich eingebunden und leisten viel mit ihren zahlreichen Pflichten. Kaum jemand verfügt über genügend Wohnraum, um auch noch die Eltern unterzubringen.“

Als ihre eigene Mutter in einem von ihr selbst gewählten Wohnheim starb, sagte sich Liselotte Vogel, nicht in ein Heim zu wollen. „Damals unterschied ich, wie viele Menschen, noch nicht zwischen den verschiedenen Wohnformen, die es für Senioren gibt. Ich wusste noch nichts vom Unterschied zwischen Betreutem Wohnen in einem Stift oder in anderen Einrichtungen und einem Pflegeheim.“ Allein der Begriff „Altenheim“ löste bei ihr negative Assoziationen aus.

Liselotte Vogel, die bereits kurz nach der Hochzeit von ihrem Mann mit einem Testamentsentwurf und später auch mit einer Patientenverfügung „überrascht“ wurde, konnte sich jedoch nicht sofort mit seinem Vorschlag, sich ein passendes Heim auszusuchen, anfreunden. Doch dann: „Wir wollten selbst entscheiden, was mit den vielen Büchern geschehen sollte, wo die Möbel einmal hinkommen. Mir wurde klar, wenn ich zu lange warte, vielleicht so lange, bis ich möglicherweise ein Pflegefall bin, dann muss ich mich darauf verlassen, dass andere alles so gestalten und regeln, wie es mir dann auch recht ist.“

Die schöne, aber unpraktische Altbauwohnung in der Münchner Innenstadt zu verlassen, war noch erträglich, so Vogel, doch die Aufgabe des Hauses auf dem Land, den Verlust des geliebten Gartens empfand sie als sehr schmerzhaft. Allerdings hatte sie sich mit der frühzeitigen Entscheidung des Rückzuges auch die Zeit für den Abschied gegönnt.

Schwer fiel es ihr, plötzlich so viele alte, hinfällige Menschen um sich herum zu haben. Allerdings erkannte sie auch früh die Vorteile, stets jemanden zum Reden in der Nähe zu wissen. War sie früher manchmal bei den Reisen ihres Mannes über Tage allein zu Hause, kann sie nun ins heimeigene Restaurant gehen oder die vielen Freizeitangebote nutzen, wo sie immer auf Gesprächspartner trifft. Zwar stünde man als bekanntes Politiker-Paar auch unter verstärkter Beobachtung, doch das würde man zu nehmen lernen. Auch habe es sie anfangs genervt, sich für das Mittagessen im Restaurant rechtzeitig abmelden zu müssen, wenn sie mal keine Lust hatte, die eigenen vier Wände zu verlassen, aber früh wurde ihr bewusst, dass diese Art der sozialen Kontrolle auch Vorteile für sie hatte. „Wenn jemand nicht zum Essen kommt, wird nachgehört, ob alles in Ordnung ist.“

Am Ende zieht Liselotte Vogel eine positive Bilanz: „Man muss nicht meinen, dass wir alle automatisch weiser würden im Alter … Dass unser Haus ständig erweitert wird, zeigt den enormen Zulauf dieser Art des Wohnens im Alter: die ständigen Möglichkeiten eines interessanten und vielfältigen sozialen Umfelds – ohne jede Verpflichtung, es auch pausenlos in Anspruch zu nehmen.“ Rebecca Bellano

Liselotte Vogel: „Ich lebe weiter selbstbestimmt – Für einen Umgang mit dem eigenen Alter“, Fackelträger, Köln 2009, gebunden, 190 Seiten, 17,95 Euro


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