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27.02.10 / Konservierte Emotionen / Briefesammlung der Marion von Dönhoff dokumentiert ein Stück Zeitgeschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-10 vom 27. Februar 2010

Konservierte Emotionen
Briefesammlung der Marion von Dönhoff dokumentiert ein Stück Zeitgeschichte

Am 2. Dezember 2009 wäre Marion Gräfin Dönhoff (gestorben am 11. März 2002 auf Schloss Crottorf) 100 Jahre alt geworden. Zeitnah ist eine Sammlung von 100 erstmals veröffentlichten Briefen, Aufzeichnungen sowie Fotos der „Grande Dame“ der Wochenzeitung „Die Zeit“ unter dem Titel „Marion Gräfin Dönhoff – Ein Leben in Briefen“ erschienen. Herausgeber sind ihr Großneffe, der Autor Friedrich Dönhoff, und Irene Brauer, ihre ehemalige Sekretärin. Die ausgewählten Selbstzeugnisse aus acht Jahrzehnten erhellen in chronologischer Reihenfolge den Lebensweg von Marion Dönhoff, die keine Autobiografie verfasst hat. Wie in Stein gemeißelt treten ihre schon frühzeitig gefestigten Grundüberzeugungen hervor, wenn sie sich entschieden zu Werten wie persönliche Freiheit und Toleranz bekannte. Unterhaltsame Einlagen sind die humoristisch gefärbten Reisenotizen. Die Texte der Herausgeber dienen jeweils als Überleitung und liefern Hintergrundinformation.

Bekanntlich war die dem ostpreußischen Adel entstammende Publizistin, die in der Bundesrepublik eine Person der Zeitgeschichte wurde, eine brillante Briefschreiberin. Bis ins hohe Alter unterhielt sie Kontakte zu bedeutenden Persönlichkeiten des In- und Auslands, die – leider gibt es kein Personenregister – sämtlich männlichen Geschlechts waren, darunter Willy Brandt, Helmut Schmidt, Henry Kissinger und Michail Gorbatschow. Die weiblichen Adressaten waren, wie diese Auswahl zeigt, jedenfalls nicht berühmt, es waren zumeist Angehörige oder Freundinnen aus alter Zeit, oder, wie sie selbst es nannte: aus ihrem „ersten Leben“, nämlich der Zeit bis zu ihrer Flucht aus Schloss Friedrichstein bei Königsberg im Januar 1945. Dort kam Marion Dönhoff 1909 als jüngstes von sieben Kindern ihrer Eltern zur Welt. Als erste Frau in der Familie durfte sie ein Studium aufnehmen, nachdem sie einem Wunsch ihrer Mutter entsprochen und eine Haushaltsschule im Engadin besucht hatte. 1939 bis 1945 fiel ihr die Verwaltung eines Familiengutes zu. Zuvor hatte sie ausgedehnte Reisen durch Europa, nach Afrika und in die USA unternommen.

Ein schwerer Schicksalsschlag traf sie mit der Hinrichtung mehrerer Freunde sowie ihres geliebten Cousins Heinrich Graf Lehndorff nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944. Sie war in die Attentatspläne eingeweiht worden und geriet durch Verrat aus der eigenen Familie in die Fänge der Gestapo, konnte sich jedoch der Haft entziehen. Später hat sie Eindrücke ihrer Flucht aus dem „Gelobten Land“, wie sie Ostpreußen nannte, in dem Artikel „Ritt gen Westen“ festgehalten, von dem ein Auszug vorliegt. Am 21. Januar, kurz vor dem Räumungsbefehl, war sie mit ihrem Pferd „Alarich“ aufgebrochen, Mitte März erreichte sie Westfalen.

Ihr weiterer Lebenslauf ist allgemein bekannt. Seit 1946 stieg sie innerhalb von nur wenigen Jahren zu einer der bedeutendsten politischen Publizistinnen der Bundesrepublik auf. Als Herausgeberin der „Zeit“ galt sie international als politische und moralische Instanz. Mehrfach hat sie sich in ihren Büchern ihrer ostpreußischen Heimat zugewandt. Die Vertriebenenverbände haben ihr allerdings nicht nachgesehen, dass sie, nachdem sie 1968 Chefredakteurin der „Zeit“ und danach Anhängerin von Willy Brandts Ostpolitik geworden war, auch noch ihren Widerstand gegenüber allen Verzichtsleistungen aufgegeben hatte.             Dagmar Jestrzemski

Irene Brauer/Friedrich Dönhoff (Hrsg.): „Marion Gräfin Dönhoff – Ein Leben in Briefen“, Hoffmann und Campe 2009, gebunden, 303 Seiten, 20 Euro


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