29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
06.03.10 / Rot-grüne Dame auf dem Schachbrett / Die Reaktionen auf die Alkoholfahrt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-10 vom 06. März 2010

Rot-grüne Dame auf dem Schachbrett
Die Reaktionen auf die Alkoholfahrt von Margot Käßmann als Lehrstück über Medien, Politik und Kirche

Mit ihrem schnellen Rücktritt hat Ex-Bischöfin Margot Käßmann auch ihren Kritikern Respekt abgenötigt. Die Tonlage, in der die Medien dann über den Vorgang berichtet haben, zeigt indes das Ausmaß der Politisierung der EKD und ihres höchsten Amtes. Das ureigene religiöse Anliegen ist in den Hintergrund getreten.

Nur etwa 36 Stunden, von Montag Abend bis Mittwoch Morgen vergangener Woche, dauerte das Mutmaßen über den weiteren Weg Margot Käßmanns: Würde sie sich als EKD-Ratspräsidentin und Bischöfin von Hannover halten können? Wollte sie das überhaupt noch?

Am Mittwoch morgen verkündete Käßmann ihren Verzicht auf beide Leitungsämter (nicht „alle Ämter“, wie sie ungenau sagte) und machte damit „reinen Tisch“. Bemerkenswert in den Stunden davor war, dass Käßmann öffentliche Unterstützung zum Bleiben nicht etwa von Bischofskollegen, sondern von Politikern erhalten hatte: Allen voran Wolfgang Thierse, aber auch Katrin Göring-Eckardt – etwas weniger eindeutig – Claudia Roth, ermutigten sie zum Durchhalten. Da war klar: SPD und Grüne betrachten Frau Käßmann als „eine der ihren“, als rot-grüne Dame auf dem Schachbrett der deutschen Politik.

Dieser Eindruck wurde durch die Tonlage der Berichterstattung der großen deutschen Medien bestätigt und verstärkt. Kommentare und Berichte charaktersierten viele Medien und Autoren weit stärker als die an sich dargestellte Margot Käßmann.

Wie weit beispielsweise die ehemals konservative „Welt“ in die linksliberale Mitte gerückt ist, zeigt der Kommentar „Der Weg der Frauen“. Autorin Andrea Seibel schrieb über Käßmann in einem Atemzug mit Merkel allen Ernstes als eine der „ersten Frauen in Führungspositionen“. Gerade so, als hätte es Maria Theresia, Benazir Bhutto und Margaret Thatcher nie gegeben. Eine reine „Gender“-Geschichte, die religiöse Fragen mit keinem Wort erwähnte, also noch nicht einmal abfällig oder ironisch.

Von ganz anderem Anspruch war da der Kommentar „Artistin der Fehlbarkeit“ von Reinhard Bingener in der „Frankfurter Allgemeinen“. „Authentizität“ sei die zentrale Kategorie von Käßmanns geistlichem Wirken gewesen und den Fehltritt ihrer Alkoholfahrt hätte wohl eher als jeder andere „in die eigene Biographie integrieren können“. Käßmann, so jedenfalls die Einschätzung der „FAZ“, habe ihr Amt gegen den Willen des EKD-Rates aufgegeben. „Mit ihrem Rücktritt verliert die Kirche einen ihrer faszinierendsten religiösen Akteure“, schließt Bingener und changiert dabei zwischen Hochachtung und wohl auch der Irritation darüber, in welchem Ausmaß das Subjektiv-Persönliche heute die Außendarstellung einer Großkirche prägt und dabei das objektive Sein der Kirche, also ihr dogmatisches und liturgisches Wesen zurückgetreten ist.

Noch ganz anders schrieben – mit einem Tag mehr Abstand zum  Ereignis – die Autoren des „Spiegel“ über den Vorgang. Mit der Überschrift „Der gefeierte Rücktritt“ war – eher gegen die Tatsachen – etwa zu lesen, Frau Käßmann sei vor ihrem Rücktritt „mit Spott und Häme übergossen“ worden. „Ihr schneller, schnörkelloser Rücktritt macht sie zum Maßstab“, so das Blatt. Tiefe Ahnungslosigkeit über das christliche Bischofsamt offenbart der Satz: „Ein Prominenter wird schnell zum Vorbild erhoben, er muss sich besser benehmen als alle anderen...“ Dass die lebensgefährdende Alkoholfahrt etwas mit Schuld zu tun hat, weiß auch der „Spiegel“ und schließt: „Mit dem Fall Käßmann ist erneut die Frage aufgerufen, wie eine Gesellschaft und wie einzelne Mitglieder mit Schuld und Sühne umgehen. Es ist ein sehr deutsches Thema, weil die Schuld aus Holocaust und Weltkrieg hierzulande immer wieder Debatten ausgelöst hat.“ Wohl keine konservative Zeitung hätte es sich erlauben könne, eine solche Gedankenverbindung herzustellen. Doch bei der bösen Assoziation mit dem Massenmord bleibt der „Spiegel“ nicht stehen. „0,6 Liter Wein ergeben bei meinem Körpergewicht die 1,54 Promille“, zitiert er eine unter Experten höchst umstrittene Rechung von Frau Käßmann, die für andere Medien seit Tagen nicht mehr erreichbar war. Der „Spiegel“ berichtet von massenhaft abgegebenen Blumen vor ihrem Haus und weinenden Anrufern in der Bischofskanzlei.

Alles, was traditionsbewusste Christen an ihr nicht verstehen, scheint das Hamburger Magazin zu feiern: „Käßmann gehört einer Generation von Theologen an, die den Auftrag der Kirche weniger in spiritueller Anleitung der Gläubigen sehen, sondern im weltweiten ,Engagement‘... ihre Erweckungsorte sind Mutlangen, Brokdorf und der Bonner Hofgarten... In ihrer radikalen Subjektivität, für die das eigene Empfinden zum Maßstab der Weltbeurteilung wird,  vertrat Käßmann eine dezidiert moderne Theologie...“ Aus der Sicht des „Spiegels“ stehe es der Kirche gut an, Frau Käßmann angemessen zu versorgen, etwa bei kirchlichen Organisationen in aller Welt: „Überall wäre man froh über einen Star wie Käßmann.“

Mit keinem Wort ging das Blatt auf die pikante Frage ein, ob Käßmann wirklich zum ersten Mal in ihrem Leben alkoholisiert am Steuer saß und ob ihre Darstellung von einem Glas Prosecco und zwei Gläsern Weißwein denn überhaupt stimmt. Vielleicht muss man das auch nicht nach einem solchen (vorläufigen?) Karriereende, doch in anderen Fällen hat gerade der „Spiegel“ ähnliche Zurückhaltung nicht geübt.

Andere Medien thematisierten diese Fragen offensiver. Nachdem die „Welt“ bereits am Tag vor dem Rücktritt die Schätzung veröffentlichte, nur jede 600. Alkoholfahrt werde entdeckt, schrieb der „Focus“ in völlig anderer Tonlage als die Hamburger Konkurrenz vom „sagenhaften Wert von 1,54 Promille“. Das Münchner Magazin gab die Einschätzung der Polizisten wieder, Frau Käßmann habe auf dem Revier „keinerlei Ausfallerscheinungen“ gezeigt und sachlich reagiert. „Jemand der selten Alkohol trinkt und ... mit 1,5 Promille ins Auto steigt, wäre schlicht und ergreifend nicht in der Lage, das Fahrzeug zu bedienen“ schreibt das Magazin und zitiert einen Verkehrspsychologen, wer mit einem solchen Wert „kaum Ausfallerscheinungen“ an sich wahrnehme, sei „mit Sicherheit ein ,gewöhnter Alkoholkonsument‘“.        Konrad Badenheuer

Foto: Respekt von allen Seiten, aber auch Fassungslosigkeit: Deutsche Zeitungen nach Käßmanns Rücktritt


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren