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06.03.10 / Vergifteter Vorschlag / Missbrauchsdebatte: Warum Bischof Zollitsch einen »Runden Tisch« abgelehnt hat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-10 vom 06. März 2010

Vergifteter Vorschlag
Missbrauchsdebatte: Warum Bischof Zollitsch einen »Runden Tisch« abgelehnt hat

Die Justizministerin will linksliberales Profil zeigen. Doch für die Kanzlerin birgt der Streit um den Umgang der katholischen Kirche mit Fällen von Kindesmissbrauch parteitaktische Gefahren.

Die Linksliberalen in der FDP schmerzt es besonders, dass ihre Partei nurmehr als „marktradikaler“ Wirtschaftsverein hingestellt  wird, der die sozialliberalen Traditionen der 70er Jahre über Bord geworfen habe. Die Affäre um Kindesmissbrauch in katholischen Schulen bot für die Protagonistin dieses Flügels, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, eine günstige Gelegenheit, um endlich wieder linksliberales Profil zu zeigen.

Daher rührt die Heftigkeit, mit der die Ministerin die angeblichen Unterlassungssünden katholischer Würdenträger aufs Korn nahm. Die Aufforderung, „endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten“, beinhaltet kaum weniger als den Vorwurf der Vertuschung mutmaßlicher Verbrechen. So verstand es auch der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und forderte die Ministerin auf, ihre Unterstellung binnen 24 Stunden zurückzunehmen.

Das tat sie nicht. Stattdessen machte sie einen gleichsam vergifteten Vorschlag zur vermeintlichen Güte: Ein „Runder Tisch“ solle eingerichtet werden, um so der katholischen Kirche die „Möglichkeit“ zu geben, „mit schonungsloser Offenheit Aufklärung zu betreiben“. Der Begriff des „Runden Tisches“ verweist auf derartige Einrichtungen während des Revolution in der DDR. Dort gaben die siegreichen Bürgerrechtler den Vertretern des verbrecherischen SED-Regimes gnadenhalber die Gelegenheit, am Aufbau einer neuen Ordnung zumindest ein wenig teilzuhaben. Deren Teilnahme war das offene Eingeständnis, moralisch und politisch vollkommen versagt zu haben und ohne Hilfe von außen keinen Schritt mehr voranzukommen.

Es wundert also kaum, dass die Bischofskonferenz die Einrichtung eines solchen Tisches postwendend zurückwies. Sie will nicht auf einer Art Daueranklagebank landen, auf der ihre erklärten Gegner über sie zu Gericht sitzen. Denn es wäre kaum zu erwarten, dass der „Runde Tisch“ je seine Arbeit beenden würde mit der Botschaft „Mission erfüllt“. Irgendwo ließen sich immer noch neue alte Fälle aufdecken, weshalb die katholische Kirche nie mehr aus der Rolle des gejagten Übeltäters herausfände.

Delikat ist die Auseinandersetzung für Kanzlerin Angela Merkel. In die Strategie der CDU-Chefin hätte es gepasst, sich der Kritik ihrer Justizministerin zumindest halblaut anzuschließen: Die alten Stammwähler, so die Auffassung in Merkels Umfeld, haben dramatisch an Bedeutung verloren. Statt sich also zuvörderst um Kirchgänger, Vertriebene oder Landwirte zu kümmern, komme es darauf an, „neue Wählerschichten“ aus dem zeitgeistliberalen Mittelfeld zu gewinnen. In diese Linie fügt sich eine Prise Kirchenschelte recht gut.

Doch Merkel ist ein gebranntes Kind: Unerwartet vital und kämpferisch zeigten sich die Vertreter des vermeintlich zweitrangigen Stammwählermilieus nach der Papst-Kritik der Kanzlerin. Aufgebrachte Parteimitglieder gründeten unlängst den „Arbeitskreis Engagierter Katholiken“ und gaben damit zu Protokoll, dass sie nicht gewillt sind, sich als stilles Stimmvieh übergehen zu lassen, auf das ihre Parteiführung keine Rücksicht zu nehmen brauche, weil dort ohnehin Union gewählt würde. So verhält sich Merkel auffallend zurückhaltend in dem Schlagabtausch.

Nachdem die Ministerin an Bischof Zollitsch einen Brief geschrieben hat, erklärte dieser den Streit öffentlich für beendet. Merkel begrüßte die Bereitschaft der Kirche, gegen Missbrauch verstärkt vorzugehen.    Hans Heckel

Foto: Um Schadensbegrenzung bemüht: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch

 

Zeitzeugen

Klaus Mertes – Der Leiter des Berliner Canisius-Kollegs brachte den Stein ins Rollen, als er im Januar rund 600 ehemalige Schüler anschrieb mit der Frage, ob sie Opfer von Missbrauch am Kolleg geworden seien. Der 1954 geborene Diplomatensohn steht der Schule seit 2008 vor und gehört seit 1977 dem Jesuitenorden an.

 

Volker Beck – Wer den 49-jährigen Bundestagsabgeordneten mit seinen Äußerungen zum Thema Sex mit Minderjährigen aus den 80er Jahren konfrontiert, kann damit rechnen, dass er ein Schreiben von seinem Anwalt erhält. Der bekennende Homosexuelle, dessen Äußerungen noch im Internet zu finden sind, vertritt inzwischen nicht mehr offiziell die Auffassung, dass sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern unschädlich seien.

 

Daniel Cohn-Bendit – Seit 1994 sitzt der deutsch-französische Politiker für die Grünen im Europa-Parlament. Er ist eine der schillerndsten Figuren der 68er Studentenbewegung und kann auf gemeinsame Erfahrungen mit Joschka Fischer in der so genannten Sponti-Szene zurückblicken. Aus seiner Zeit als Erzieher in einem antiautoritären Kinderladen der Universität Frankfurt stammt ein Buch, in dem er sexuellen Missbrauch von Kindern beschreibt.

 

Gerhard Schröder – Eine Kostprobe für Populismus gab der frühere Bundeskanzler im Juli 2001 mit der plakativen Forderung, man müsse Kinderschänder „wegschließen und zwar für immer“. Schon wenige Wochen später legte Bayern im Bundesrat eine entsprechende Gesetzesinitiative zur „nachträglichen Sicherungsverwahrung“ vor – und Schröders SPD lehnte ab.

 

Hans-Ludwig Kröber – Der 1951 geborene Mediziner gilt als einer der gefragtesten Kriminalpsychiater in Deutschland. Er hat neben etlichen Sexualstraftätern auch den RAF-Serienmörder Christian Klar begutachtet. Kröber widerspricht der These, katholische Priester seien anfälliger für sexuallen Kindesmissbrauch als andere Männer. Ursprünglich stand der Wissenschaftler weit links, bei der Bundestagwahl 1976 kandidierte er für den kommunistischen KBW.


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