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06.03.10 / Flucht der Verstoßenen / Phatasievoller Mittelalterroman mit bizarren Gestalten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-10 vom 06. März 2010

Flucht der Verstoßenen
Phatasievoller Mittelalterroman mit bizarren Gestalten

„Hiobs Brüder“, so heißt der neue Roman der überaus erfolgreichen Autorin Rebecca Gablé. Als Spezialistin für mittelalterliche englische Literatur und Geschichte hat sie bereits sechs fesselnde Bücher vorgelegt, die den Leser in die erzählte Fiktion des englischen Mittelalters abtauchen lassen. Auch diesmal begibt sie sich in das England des 12. Jahrhunderts, das besonders durch Erbfolgekriege, Kreuzzüge und den Übergang zur angevinischen Herrschaft geprägt war. Die Darstellung der historischen Fakten verknüpft Gablé geschickt mit der Geschichte einer kleinen Schar von Menschen, die 1147 vor der englischen Küste Yorkshires eingesperrt in einer verfallenen Inselfestung eine menschenunwürdige Existenz fristen müssen, da sie nicht zu den Kindern Gottes zählen: Simon leidet unter der Fallsucht, Edmund hält sich für einen toten Märtyrer und der Mörder Regy ist so gefährlich, dass er nur an einer Kette gehalten werden darf. Ergänzt wird die kleine Gemeinschaft durch die siamesischen Zwillinge Godric und Wulfric, den durch eine Anomalie gezeichneten, liebenswerten Oswald sowie Loisan, der sein Gedächtnis und damit seine Vergangenheit verloren hat. Ausgerechnet Letzterem fällt die Führung dieser eigentümlichen Vereinigung zu, als ein Sturm ihnen die Möglichkeit zur Flucht auf das Festland öffnet. Konfrontiert mit Hunger, Elend und Rechtlosigkeit, muss Loisan die Überlebenden durch gefährliche Situationen leiten und sich immer wieder mit ihrer Andersartigkeit auseinandersetzen, die Ablehnung und Miss-trauen hervorruft. Trotzdem machen sie sich gemeinsam auf, ihr altes Leben zurückzuerobern und einen Neuanfang zu wagen. Bald merken sie, wie schwer das ist. Erst als die Gruppe auf den hilfsbereiten jüdischen Arzt Josua ben Isaac stößt, wendet sich das Blatt. Auf ihrer gemeinsamen Reise muss sich allerdings auch Loisan seiner Vergangenheit stellen und kommt dabei zu leidvollen Erkenntnissen über den Mann, der er einmal gewesen ist. Und gerade als er einer Frau begegnet, mit der ein Neuanfang möglich scheint, beginnt er zu ahnen, dass er wohl verantwortlich ist für den furchtbaren Krieg, an dem die königliche Herrschaft in England zu zerbrechen droht.   

„Hiobs Brüder“ ist ein erzählerisch durchweg dichter Roman, der über 900 Seiten gut unterhält und den Leser durch das Eintauchen in eine fremde, phantasievolle Welt einlädt. Interessant sind hierbei die außergewöhnlichen Protagonisten und die auf Quellenrecherche gestützte Darstellung des Alltagslebens im 12. Jahrhundert.

Ebenfalls gelingt es Rebecca Gablé, den historischen Hintergrund sowie den dramatischen Konflikt um die englische Thronfolge in ihre Erzählung einzubinden und damit einen weiteren Handlungsstrang zu schaffen. Unerfreulich ist nur, dass Gablé manche Wert-urteile der Neuzeit in eine äußerst vielschichtige mittelalterliche Welt transponiert, ohne genau auf die Umstände und Normen zu achten, die diese prägten. Als Mediävistin müsste sie es eigentlich besser wissen.    Anne Bruch

Rebecca Gablé: „Hiobs Brüder“, Ehrenwirth Verlag, Bergisch Gladbach 2009, geb., 900 Seiten, 24,99 Euro


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