18.04.2024

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06.03.10 / Gegen alle Widerstände / Aufnahme im Westen: Vertriebenenfamilien erzählen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-10 vom 06. März 2010

Gegen alle Widerstände
Aufnahme im Westen: Vertriebenenfamilien erzählen

Etwa 14 Millionen Menschen sind nach 1945 aus dem deutschen Osten geflohen oder vertrieben worden; zwei Millionen haben Flucht und Vertreibung nicht überlebt. Es ist eine der unglaublichsten Leistungen, dass das kriegszerstörte Deutschland zwölf Millionen aufnehmen und integrieren konnte.

In jüngster Zeit findet das schwere Leben der Vertriebenen in der neuen Umgebung verstärktes Interesse. So hat der Historiker Andreas Kossert in einem vielbeachteten Buch von der „Kalten Heimat“ gesprochen. Die in Stuttgart arbeitende Redakteurin Hilke Lorenz zeigt jetzt an elf Familienschicksalen (übrigens fast durchweg Frauen), wie sehr Flucht und Vertreibung über Generationen hinweg prägend bleiben.

Da ist das Schicksal der Familie aus Memel, die mit viel Energie im Westen wieder zu Wohlstand kommt. Eine Familie aus der Königsberger Gegend kann trotz aller äußeren Erfolge den Kummer über die erlittenen Verluste nicht verwinden. Wieder eine andere Familie, aus Schuttschenofen (Kreis Neidenberg) im Ruhrgebiet gelandet, sieht sich derart massiven Vorbehalten der Einheimischen gegenüber, dass sie lange Zeit ihre Herkunft geheim hält. Wieder andere Schicksale betreffen Familien aus Schlesien, Ost-Brandenburg, Pommern, Böhmen und Bessarabien.

Fast alle prägt das Trauma von Verlust, von Vergewaltigungen und Tod. Ferner die bedrückenden Erfahrungen in der neuen Umgebung: Wohnen unter primitivsten Umständen, Vorbehalte und Miss-trauen der einheimischen Bevölkerung (besonders in Süddeutschland), mitunter, wenn man in der DDR gelandet war, eine erneute Flucht in den Westen.

Die Lebenswege verlaufen ganz unterschiedlich: Manche Frauen setzen sich mit den Erfahrungen intensiv auseinander und lösen sich von der Vergangenheit; andere, vor allem die Älteren, kommen nie so richtig im Westen an. Gespräche über die alte Heimat bleiben lange Tabu, erst mit den Enkeln können die jetzt sehr alt gewordenen Frauen offen über alles sprechen. Die Autorin bringt anrührende Beispiele für das Hereinholen der alten Heimat in die neue:  Das Häuschen, das man sich schon in den 50er Jahren (!) bauen kann, wird „Kleinschlesien“ genannt; ein  notdürftig hergerichtetes Gärtnerhaus bekommt ein „Fleckchen Ostpreußen“; nach Reisen in die alte Heimat und aufgrund alter Unterlagen werden Haus und Hof stilgerecht im PC rekonstruiert.

Wer ein ähnliches Schicksal erlitten hat, wird sich in vielem, was Hilke Lorentz berichtet, wiederfinden. Manches mag man anders sehen, etwa ob die Ressentiments der Einheimischen wirklich so groß waren (hatten sie doch oft selbst nichts zu beißen) oder ob man so deutlich von Ausblendung der Vertriebenengeschichte in der Historiographie sprechen kann. Richtig ist diese Feststellung: „Wenn Heimat nicht mehr da ist, um identitätsstiftend zu wirken und eine verbindende Klammer um Menschen zu legen, übernimmt die Verlusterfahrung diese Aufgabe.“ Das mag auch das nach wie vor große Zusammengehörigkeitsgefühl von Schlesiern, Pommern und Ostpreußen erklären.         Dirk Klose

Hilke Lorenz: „Heimat aus dem Koffer – Vom Leben nach Flucht und Vertreibung“, Ullstein, Berlin 2009, 300 Seiten, 19,90 Euro


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