28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
13.03.10 / Einreise ohne Rückkehr / Bewohner des westlichen Balkans dürfen visafrei in den Schengen-Raum reisen – Viele bleiben gleich dort

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-10 vom 13. März 2010

Einreise ohne Rückkehr
Bewohner des westlichen Balkans dürfen visafrei in den Schengen-Raum reisen – Viele bleiben gleich dort

Seit Dezember letzten Jahres dürfen sich die Bürger Serbiens, Montenegros und Mazedoniens ohne Visum für 90 Tage in den Schengen-Staaten aufhalten. Albanien und Bosnien-Herzegowina bekamen zunächst kein grünes Licht für die Visabefreiung, könnten aber ab Mitte 2010 nachziehen.

Zwar ist das große Reisefieber zur Enttäuschung der Tourismusveranstalter bisher nicht ausgebrochen – Hotels in italienischen und spanischen Urlaubsregionen werden kaum gebucht. Doch hat die neue Regelung eine regelrechte Völkerwanderung ausgelöst. Der Westen lockt vor allem die verarmte albanische Minderheit in Mazedonien und Südserbien. Das Innenministerium in Skopje registrierte während der vergangenen Wochen 150000 Personen, die ihre Heimat mit gepackten Koffern und einem neuen Reisepass, der nun biometrische Daten enthalten muss, verließen. Ganz Mazedonien hat nur knapp über zwei Millionen Einwohner. Schätzungen zufolge werden mehr als zwei Drittel der Ausgereisten nicht mehr zurückkehren, was ein schwerer Schlag für das Land wäre, da vor allem junge Leute das Weite suchen.

Auch aus dem südserbischen Presevo-Tal, eine ebenfalls mehrheitlich von Albanern besiedelte Gegend, sind nach inoffiziellen Angaben bereits 10000 Bürger ausgereist. Der Schweizer Migrationsexperte Gianni D’Amato nennt vor allem die prekären Lebensbedingungen und den Mangel an Arbeitsplätzen als Grund für die Auswanderung ganzer Familien: „Viele Menschen verlassen ihre Heimat, weil dort eine verbreitete Perspektivlosigkeit herrscht. Die Möglichkeit, sich dort ein eigenes Leben aufzubauen, ist für viele nicht gegeben.“

Beispiel Mazedonien: Das Land litt lange Zeit unter den Folgen des Sozialismus, wie der verbreiteten Korruption und dem zu großen Beamtenapparat. Nach Ansicht der EU-Kommission konnte die Regierung bis 2009 diese Probleme durch eine konsequente Reformpolitik beheben. Dennoch gehört Mazedonien mit einer Arbeitslosenquote von rund 34 Prozent und einem Durchschnittseinkommen von 280 Euro pro Monat zu den ärmsten Staaten Europas. Die Schwarzarbeit macht nach Expertenschätzungen fast die Hälfte der nationalen Wirtschaftsleistung aus. Während Landwirtschaft und Industrie straucheln, verspricht allein der Tourismus Wachstumschancen. Die „New York Times“ kürte die Stadt Ohrid am gleichnamigen See zu einem der schönsten Urlaubsziele 2010. Doch die ethnischen Konflikte zwischen den Mazedoniern und Albanern belasten das Land schwer. Mazedonien hatte nach dem Kosovokrieg 1999 etwa 380000 Flüchtlinge aufgenommen.

Beispiel Serbien: Seit der demokratischen Wende im Oktober 2000 versucht Serbien, die Folgen der politischen und wirtschaftlichen Isolation zu Zeiten des Milosevic-Regimes zu beseitigen und sich den EU-Standards anzupassen. Steuersenkungen, Reformmaßnahmen, die Bekämpfung der Korruption und der Abbau von Bürokratie führten 2009 zu einem leichten Wirtschaftsaufschwung. Doch leidet die Landwirtschaft als wichtigster Wirtschaftszweig unter klimatischen Schwankungen. Die Industrie ist veraltet und es fehlt an einer stabilen Infrastruktur. Das Nettogehalt liegt bei 400 Euro monatlich.

Beispiel Montenegro: Noch heute beschäftigen das Land der Schmuggel von Drogen, Zigaretten, Waffen und Menschen, gestohlene Fahrzeuge aus der EU sowie unaufgeklärte Auftragsmorde der organisierten Kriminalität an regierungskritischen Journalisten und Staatsanwälten. Die EU und internationale Organisationen prangern die ausgeprägte Korruption und den ineffizienten Staatsapparat an. Probleme bestehen ferner bei der Modernisierung und Privatisierung der ehemals staatlichen Großindustrie und der Energiewirtschaft. Durchschnittseinkommen der Bevölkerung und Kaufkraft sind niedrig.

Aufgrund dieser Krisensituation suchten bereits vor der Neuregelung viele Menschen aus dem Balkan Arbeit in Westeuropa, obwohl das Touristenvisum die Erwerbstätigkeit ausdrücklich verbietet. Zu den beliebtesten Reisezielen der Mazedonier zählen neben der Schweiz und Belgien, Deutschland sowie die skandinavischen Länder. Die Menschen aus dem Balkan finden in diesen Staaten oft schon ein Netzwerk von Landsleuten oder Verwandten vor. Sie haben es daher einfacher, in den Arbeitsmarkt zu gelangen – wenn auch illegal. „Diese Einwanderung ist überhaupt nicht kontrollierbar. Weil die Mazedonier keine Chance auf eine legale Aufenthaltsbewilligung haben, müssen sie untertauchen und versuchen, schwarz zu arbeiten“, warnt der Schweizer liberale Politiker Philipp Müller. Doch manche wollen nicht in die Illegalität. So wurden bereits in Belgien und der Schweiz in den letzten Monaten vermehrt Asylanträge von Mazedoniern registriert. Waren es 2009 in der Schweiz insgesamt 62 Anträge, so waren es im Februar bereits 166 Asylsuchende aus dem Balkanstaat.

Riza Haljimi, Abgeordneter der albanischen Minderheit im serbischen Parlament, fordert als Lösung einen massiven Import von ausländischem Know-how und Kapital: „Wir müssen das stoppen, brauchen aber die Hilfe von Belgrad und der EU: Allein und ohne staatliche Investitionen können wir hier das Leben der Leute einfach nicht verbessern.“

Sophia E. Gerber


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren