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13.03.10 / Eine kopierte Scheinwelt des Rausches / Die gerade erst volljährige Helene Hegemann hat einen Bestseller vorgelegt, der ihr entglitten ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-10 vom 13. März 2010

Eine kopierte Scheinwelt des Rausches
Die gerade erst volljährige Helene Hegemann hat einen Bestseller vorgelegt, der ihr entglitten ist

Das Feuilleton feierte sie als ein „Wunderkind“. Die 18-jährige Helene Hegemann hat mit ihrem Romandebüt „Axolotl Roadkill“ die vordersten Plätze der Bestsellerlisten erobert. Doch nicht nur die bizarre Handlung über Sex, Gewalt und Realitätsverlust erhitzt die Gemüter. Hegemann hat große Teile des Romans aus dem Internet abgeschrieben und nun fragen sich alle: Ist das legitim?

In den Lehrplänen wird Medienkompetenz heute großgeschrieben. In einigen Bundesländern gibt es sogar eigene Unterrichtsfächer, in denen der Umgang mit dem Internet und Suchmaschinen wie „Google“ gelehrt wird.

Viele Schüler benutzen die neue Technik jedoch schon geschickter als ihre Lehrer. Dies hat häufig eine Schattenseite: Der Medienwissenschaftler Stefan Weber spricht vom „Google-Copy-Paste-Syndrom“ – gemeint ist damit der Diebstahl von geistigem Eigentum über das Internet. Auf Seite 15 in „Axolotl Roadkill“ fragt die 16-jährige Protagonistin Mifti ihren Bruder Edmond: „Es ist also nicht von dir?“ Er antwortet: „Nein. Von so ’nem Blogger.“ Genauso hat Helene Hegemann große Teile ihres Romans zustande gebracht. Aus den Weiten des Web 2.0 – in Weblogs, Foren und sozialen Netzwerken – hat sie ganze Passagen eins zu eins übernommen. Besonders inspirierend fand sie das Tagebuch von „Airen“, von dem sie Wort für Wort Erfahrungen aus der Berliner Drogenszene übernahm.

Rechtlich gesehen ist dies ein Plagiat, aber „Airen“ klagte nicht, weil für ihn das Urheberrecht ebenso überflüssig geworden ist wie für Hegemann. Diese neue, durch das Internet geprägte Generation hält das Schreiben von wirklich neuen Romanen für unmöglich und versucht sich stattdessen im „Remixen“, also in der kunstvollen Montage bereits vorhandener Einzelteile.

Aber selbst wenn man den Remix als Kunst akzeptiert, schneidet Hegemann schlecht ab. Gerade in öffentlichen Lesungen und Interviews hat sich gezeigt, dass sie ihren eigenen Roman nicht verstanden hat und zum Teil nicht weiß, was da eigentlich drin steht. Harald Schmidt fragte sie in seiner Sendung, ob sie die Philosophen, die in ihrem Text vorkommen (zum Beispiel Giorgio Agamben und Martin Heidegger), überhaupt gelesen hat. Hegemann musste passen.

Das offenbart das eigentliche Problem ihres Romans und des „Google-Copy-Paste-Syndroms“. Hegemann „schreibt“ über Dinge, die sie nicht durchdrungen hat, und entfachte mit ihrer online erworbenen Altklugheit gleich mehrere Grundsatzdebatten in den deutsche Feuilletones. Sie lässt die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Schein-Welt verschwimmen. Damit hat sie unfreiwillig die große Gefährlichkeit des Konstruktivismus entlarvt, der derzeit das herrschende Paradigma in den Geisteswissenschaften ist.

Dem Konstruktivismus folgend gibt es keine Realität und alle Wirklichkeit ist nur konstruiert. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass verbindliche Regeln, Werte und Normen wegfallen, weil ihr konstruierter Charakter „aufgedeckt“ wurde. Wenn man diese philosophische Einsicht teilt, zerbricht die Unterscheidung zwischen einem klaren Blick auf die Dinge und einem Drogendelirium.

An einer Stelle in „Axolotl Roadkill“ „steckt Mifti Berlin-Mitte in Brand. Sie erdrosselt Lars … und bearbeitet Annika mit einem eisernen Requisit …, das … dazu dient, das Fleisch des an den Armen aufgehängten Opfers zuerst in Fetzen zu reißen und danach bis auf die Knochen abzuschaben“.

Einen Absatz später stellt sich diese Szene als irreal heraus. Wenn ein Mädchen wie Helene Hegemann so etwas schreibt, dann zeugt dies entweder von beängstigenden Gewaltphantasien oder einem Realitätsverlust. Bei ihr ist letzteres der Fall.

Fatal daran ist, dass der Ullstein-Verlag mit der Behauptung spielt, die Tochter des erfolgreichen Dramaturgen Carl Hegemann habe die geschilderten Drogen-, Sex- und Gewaltexzesse tatsächlich erlebt und ein Abbild ihrer wilden Jugend entworfen.

Dabei hat sie nur im Informationsnirwana des Internets Fragmente gesammelt und neu zusammengesetzt. Ihr Roman hat dadurch eine Eigendynamik entwickelt, der die Jungautorin nicht folgen kann. Felix Menzel


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