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13.03.10 / Wirklichkeitsbezug mangelhaft / Roman über Flucht und Vertreibung neu aufgelegt − einige Ungereimtheiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-10 vom 13. März 2010

Wirklichkeitsbezug mangelhaft
Roman über Flucht und Vertreibung neu aufgelegt − einige Ungereimtheiten

Das Buch ist 1949 erschienen und wurde rasch vergessen, auch an den Autor Fritz Nendel erinnert sich heute, nach 60 Jahren, niemand mehr. Wurden diese Aufzeichnungen einer Flucht aus Ostpreußen im Jahr der politischen Teilung Deutschlands überhaupt wahrgenommen? Dabei ist das Thema dieses fiktiven „Tagebuchs einer Verschollenen“, so der Untertitel, das vier Jahre nach Kriegsende im Bonner „Verlag der Europäischen Bücherei“ unter dem Titel „Spreu im Wind“ veröffentlicht wurde, keineswegs überholt, sondern nach wie vor aktuell.

Fritz Nendel, 1903 in Chemnitz geboren und 1999 in Suderburg bei Uelzen gestorben, der Verfasser dieses zeitgeschichtlichen Dokuments, der mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten als Beamter entlassen worden war, weil er Sozialdemokrat war, zog von Chemnitz nach Hamburg, wo er in einem Arbeiterviertel einen kleinen Lebensmittelladen übernahm. Als Soldat war er in den letzten Kriegsjahren in Ostpreußen, Pommern und Breslau eingesetzt und muss sich damals diesen „Stoffvorrat“ angeeignet haben, aus dem er Jahre später das „Tagebuch einer Verschollenen“ von 1949 formen sollte.

Erzählt wird von der Flucht der fünfköpfigen Familie Munck im Januar 1945 aus Ostpreußen. Sie wird in der pommerschen Hafenstadt K., womit wohl Kolberg gemeint ist, auseinandergerissen. Darauf kehrt die Mutter, wie betäubt vom Schmerz, in wochenlangen Fußmärschen in ihr Heimatdorf zurück. Dort trifft sie nicht, wie erhofft, ihre Kinder, aber nach wenigen Tagen ihren Ehemann Knud, einen versprengten Soldaten, dem sie, von Schuld geplagt, ihre Aufzeichnungen zu lesen gibt.

Dieser fiktive Text, der so authentisch daherkommt, ist in der Tat ein „außergewöhnliches Erzählwerk“, wie Axel Dornemann, Lektor im Stuttgarter Hiersemann-Verlag, der das 1949 erschienene Buch wiederentdeckt und herausgegeben hat, im Nachwort schreibt. Dennoch wirken einige Ungereimtheiten störend. Warum beispielsweise werden Städte wie Kolberg nicht mit Namen genannt, sondern nur mit den Initialen? Das gibt dem Buch etwas Geschichtsloses, zumal auch der die Deutschen in zwölf Jahren wie eine Pest beherrschende Nationalsozialismus kaum vorkommt. Über die von Deutschen zwischen 1940 und 1945 in Osteuropa verübten Verbrechen heißt es merkwürdig abgehoben: „Die Sieger verweisen auf das Unrecht, welches ihnen einst in freventlicher Anmaßung und Überhebung von den Leuten unserer Zunge zugefügt ward.“

Dass eine 35-jährige Frau im Sommer 1945 fünf Wochen unbeschadet durch Pommern und Westpreußen wandert, wo überall schon Polen siedeln, bis sie in Ostpreußen ankommt, ohne verhaftet, vergewaltigt oder sonstwie belästigt zu werden, ist höchst unwahrscheinlich. Wie es wirklich dort zuging, kann man in Käthe von Normanns „Tagebuch aus Pommern 1945 bis 1947“ (1962) nachlesen oder auch in Christian von Krockows Bericht „Die Stunde der Frauen“ (1988).

Wie überhaupt die beiden authentischen Erlebnisschilderungen Hans Graf Lehndorffs „Ostpreußisches Tagebuch“ (1961) und Marion Gräfin Dönhoffs „Namen, die keiner mehr nennt“ (1962) einen ungleich stärkeren Wirklichkeitsbezug aufweisen.

Und dass am 30. August 1945 noch ein deutscher Soldat im „Militärmantel“ in Ostpreußen auftaucht wie aus dem Nichts, ist völlig abwegig. Wäre er russischer oder polnischer Gefangenschaft entflohen, wäre er damals gejagt, erschossen oder erschlagen worden wie ein räudiger Hund. Er aber erreicht unerkannt sein Haus am See und findet dort seine Frau vor, die auf ihn wartet. Das glaube, wer will.             Jörg Bernhard Bilke

Fritz Nendel: „Spreu im Wind − Tagebuch einer Verschollenen“, herausgegeben von Axel Dornemann, Weltbild-Verlag, Augsburg 2009, 160 Seiten, 8,95 Euro


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