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27.03.10 / Augenschmaus aus fünf Jahrhunderten / In Wien sind Stillleben internationaler Künstler zum Themen Essen zu sehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-10 vom 27. März 2010

Augenschmaus aus fünf Jahrhunderten
In Wien sind Stillleben internationaler Künstler zum Themen Essen zu sehen

Eine „kulinarische“ Ausstellung, die sich der über die Jahrhunderte gewandelten Alltagskultur des Essens und Trinkens widmet, ist derzeit im Bank Austria Kunstforum in Wien zu sehen. Gezeigt werden Bilder internationaler Künstler aus fünf Jahrhunderten. Die 90 beispielhaften Exponate stammen aus unterschiedlichen Kunstlandschaften und Epochen und ermöglichen dem Besucher so einen direkten Vergleich. Anhand der Werke aus dem 16. bis 20. Jahrhundert kann man der Frage nachgehen, inwieweit das Stilleben bloße Naturnachahmung, Symbolträger oder gar Konstruktion von Realität ist. „Erstmals werden durch konzise Gegenüberstellungen neuzeitlicher und aktueller Kunst die Kontinuität, Differenz und Bandbreite des Stillebens in seinem kreatürlichen und symbolischen Bezug zum Leben beleuchtet“, sagt die Kuratorin der Ausstellung Heike Eipeldauer. Schon eine Übersicht der Künstler macht die Vielfalt deutlich: Max Beckmann, Georges Braque, Paul Cèzanne, Lovis Corinth, Oskar Kokoschka, Paula Modersohn-Becker, Pablo Picasso, Auguste Renoir, Vincent van Gogh, Ferdinand Georg Waldmüller, Andy Warhol – allein diese willkürlich ausgewählte Reihe macht geradezu schwindelig. In sechs Kapiteln wird die Bedeutung des Stilllebens beleuchtet. Das Objekt als Subjekt – Die Geburt des Stilllebens, Vanitas – Allegorien von Leben und Tod, Nahrung zwischen Existenzgrundlage und Konsumobjekt, Table/Tableau und der weiblich codierte Raum des Stilllebens, Fleisch und die Grenzen der Darstellbarkeit von Essbarem, das Stillleben als malerisches Experimentierfeld. Selbst in Zeiten der totalen Verfügbarkeit fast aller lebenswichtigen Dinge üben Stillleben eine besondere Faszination auf den Betrachter aus. Beeindruckend sind vor allem die Gemälde aus dem Barock. Sie gewinnen den Betrachter durch verborgene Symbolik, durch Doppelbödigkeit, Augentäuscherei und feine Ironie. Mit Pinsel und Farbe gelang es den Künstlern meisterhaft, eine täuschend echte Realität auf der Leinwand zu erschaffen. Der Traum vom Reichtum oder die Wünsche nach Ewigkeit werden im Bild erfüllt. Die Blumen auf der Leinwand verblühen nie, die Zeit verrinnt nicht und der schöne Augenblick bleibt für immer. Stillleben bannen den Blick, sprechen die Sinne an und bleiben doch immer rätselhaft. Die Gegenstände erscheinen oft so täuschend echt, dass man sie mit den Händen greifen möchte, wie etwa die monumentale Birne, die der Mainzer Maler Justus Juncker (1703–1767) auf einen Sockel gestellt hat. Doch Vorsicht: Auch Insekten haben die süße Frucht bereits entdeckt. Im 17. Jahrhundert erlebte das Stillleben geradezu einen Höhenflug. Jeder gutgestellte Bürger, der etwas auf sich hielt, wollte sein Haus, sein Stadtpalais mit Bildern schmücken. Neben Porträts waren es vor allem Stillleben, die in Auftrag gegeben wurden. Nach einer gewissen „Flaute“ wehte bald ein frischer Wind in Sachen Stillleben, als Paul Cézanne (1839–1906) es zum experimentellen Medium erklärte („Mit einem Apfel werde ich Paris in Staunen versetzen“). Etwa zur selben Zeit ließ Emile Zola in seinem Künstlerroman „L’Œuvre“ den Maler Lantier sagen: „Der Tag wird kommen, da eine einzige selbständig gemalte Karotte eine gewaltige Revolution verursachen wird.“ Max Liebermann sollte später darauf entgegnen: „Der Satz, dass die gut gemalte Rübe besser sei als die schlecht gemalte Madonna, gehört bereits zum eisernen Bestand der modernen Ästhetik. Aber der Satz ist falsch; er müsste lauten: die gut gemalte Rübe ist ebenso gut wie eine gut gemalte Madonna“ (1904). Einen speziellen Beitrag zum Thema Essen in der Kunst des Stilllebens lieferte Liebermanns Zeitgenosse, der Ostpreuße Lovis Corinth (1858–1925). In Wien wird eines seiner Schlacht- und Metzgerbilder gezeigt. Schon früh war der Sohn eines Lohgerbers aus Tapiau mit dem Schlachten von Tieren konfrontiert worden. Als Schüler der Königsberger Kunstakademie hatte er durch Beziehungen Zugang zum dortigen Schlachthaus. Studien niederländischer Darstellungen wie Rembrandts „Geschlachteter Ochse“ im Louvre vertieften die eigenen Erfahrungen. Während viele der Schlachthausszenen – Corinth malte dieses Motiv immerhin 14-mal – düster und bedrückend wirken, ist das in Wien ausgestellte Bild aus dem Besitz der Bremer Kunsthalle weniger dramatisch und wirkt geradezu heiter. Im „Schlachterladen in Schäftlarn an der Isar“ präsentiert man frische Ware, die nur auf den Käufer zu warten scheint. Der lachende Schlachterjunge hält eine Schale feilbietend vor sich, als wolle er den Betrachter animieren nur zuzugreifen. Ein Bild voller Lebenslust und Genuss. Viele Maler sahen das Stillleben inzwischen aber auch als Experimentierfeld, war es in der akademischen Gattungshierarchie doch auf den untersten Rang verwiesen worden. Letztlich galt es über Jahrhunderte hinweg auch als „feminines“ Genre, konzentrierte man sich doch meist auf die häusliche Sphäre. Für viele Malerinnen, denen damals der Zugang zur Akademie und das Aktstudium versperrt blieb, wurde das Malen von Stilleben zum Reservat privater Kunstausübung. Dies macht die Geschichte der Stilllebenmalerei gerade auch zu einer Geschichte der Produktion und Rezeption von Künstlerinnen. Silke Osman Die Ausstellung „Augenschmaus – Vom Essen im Stillleben“ ist im Bank Austria Kunstforum, Freyung 8, Wien, bis zum 30. Mai täglich von 10 bis 19 Uhr, freitags bis 21 Uhr zu sehen, Eintritt 9/7,50 Euro; Senioren 7 Euro


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