29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
10.04.10 / Kampf mit dem Schatten / Gelungen: Hans Christian Andersen auf der Bühne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-10 vom 10. April 2010

Kampf mit dem Schatten
Gelungen: Hans Christian Andersen auf der Bühne

Große Namen und berühmte Texte bestimmen die Literaturgeschichte. Von Hamlet oder Wilhelm Tell wäre wohl kaum noch die Rede, hätten Shakespeare und Schiller sie nicht öffentlich gemacht, und so ergeht es auch Märchengestalten wie der „Prinzessin auf der Erbse“, dem „Hässlichen Entlein“ oder dem „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von Hans Christian Andersen. Die Tatsache, dass der Dichter außerdem auch noch ganz andere Texte geschrieben hat, ist seinem Millionenpublikum in aller Welt vorwiegend unbekannt. Von Leben und Cha-rakter des Dänen ganz zu schweigen. Das hat Stefan Pucher mit seinem neuesten Projekt „Andersen – Trip zwischen Welten“, das in Hamburg am Thalia Theater uraufgeführt wurde, jetzt geändert.

Pucher hat ein Märchen auf die Bühne gebracht, das die Zu-schauer durch Bilder, Gestik und Musik in einen Traum einbezieht, aus dem es kein Entrinnen gibt. Ereignisse zwischen Sein und Schein werden wild durcheinandergewirbelt. Dafür versucht Pucher, dem Ganzen durch eine Art Gerüst mit dem märchenhaft geheimnisvollen Andersen-Text „Der Schatten“ als autobiographischer Aussage auch noch einen Inhalt zu geben. Im Mittelpunkt steht ein Gelehrter, der auf einer Reise in den Süden seinen Schatten ausschickt, um mehr über eine schöne Fremde zu erfahren, deren Stimme ihn aus der Ferne betört hat. Als der Schatten zurückkehrt, scheint er Mensch geworden zu sein. Der Gelehrte ringt mit ihm um die Dominanz in seinem künftigen Leben. Der Schatten jedoch entführt ihn in die Welt der Kunst – und des Todes. Eine dichterische Motivation, die der Zuschauer im Parkett nur lückenhaft nachvollziehen kann. Kein Schatten vermag ohne seinen Verursacher zu existieren, und dieser Verursacher ist ihm fast überall ausgeliefert. Andersen macht daraus ein Märchen, das der Vernunft davonläuft, die niemand einholen kann. Das Publikum bleibt dennoch geblendet von der Faszination der Bilder, die ihm auf der Bühne vorgegaukelt werden.

Zwischen Styropor- und Papp-Wänden mit der Ausformung schlossartiger Gemächer, die von wechselnden Beleuchtungen in vielfältige Formen getaucht werden, agieren Andersen und sein Schatten in wechselnder Besetzung und mit geradezu artistischen Einlagen. Gleichzeitig gleiten zwischen Säulen-Andeutungen Videos der handelnden

Personen aus anderen Zusam-menhängen vorbei und suggerieren mit Riesen-Gesichtern und -Augen unausgesprochene Gefühle.

Greifbar gewordene Traum-Vorstellungen lösen einander in immer neuen Verwicklungen ab. Hans Christian Andersen scheint persönlich entschwunden. Aber seine Art zu träumen, die Intensität seiner Bemühungen, im großen Kopenhagen Fuß zu fassen, die sind ganz nahe und trotzdem märchenhaft.

Die Musiker Carsten „Erobique“ Meyer und Matthias Strzoda kolorieren den Traum mit jeweils einfühlsamen Klängen und Rhythmen, und das Ensemble realisiert die Intuitionen des Regisseurs individuell und überzeugend. Ein Beweis dafür, dass der Weg zum modernen Theater doch nicht nur steinig sein muss, sondern selbst vor Phantasiewelten nicht zurück-zuschrecken braucht, wenn sie den Nerv dessen treffen, was sie aussagen wollen. Rosemarie Fiedler-Winter


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren