25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
10.04.10 / Churchill und Stalin waren sich bei Katyn einig / Erst vor 20 Jahren gab die Sowjetunion das Leugnen der Verantwortung für das Massaker vor 70 Jahren auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-10 vom 10. April 2010

Churchill und Stalin waren sich bei Katyn einig
Erst vor 20 Jahren gab die Sowjetunion das Leugnen der Verantwortung für das Massaker vor 70 Jahren auf

Vor 70 Jahren, vom 3. April bis zum 19. Mai 1940, begingen Einheiten des sowjetischen Innenministeriums NKWD an rund 22000 polnischen Staatsangehörigen – Offizieren, Polizisten, Intellektuelle sowie anderen Angehörigen der Funktionselite – das Massaker von Katyn. Erst ein halbes Jahrhundert später, am 13. April 1990, bestätigte Michail Gorbatschow eine entsprechende Tötungsentscheidung der sowjetischen Führung unter Josef Stalin und gab damit die sowjetische Verantwortung zu.

Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein zeitgeschichtliches Ereignis öffentlich erörtert wird, das die „deutsche Vergangenheit“ etwas „besser aussehen“ lässt als üblich. Die vom russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin an seinen polnischen Amtskollegen Donald Tusk ergangene Einladung zu einem gemeinsamen Totengedenken in Katyn ist eine solche Ausnahme. Der geschichtliche Anlass ist der 1940 verübte Massenmord an kriegsgefangenen polnischen Offizieren. Ein Massaker, das im Frühjahr 1943 bekannt wurde und dessen Täter das Verbrechen flugs den Entdeckern in die Schuhe schoben. Den wahren Sachverhalt wussten zunächst nur die Täter. Als ihre Auftraggeber vermuteten die Landsleute der Ermordeten jedoch von Anfang an die Sowjetführer im Kreml und machten aus ihrem Verdacht keinen Hehl. Entsprechend nahm die polnische Exilregierung Anteil an der medizinischen Aufklärung der exhumierten polnischen Offiziere. Sie handelte sich freilich darüber im April 1943 von Moskau den Abbruch der diplomatischen Beziehungen ein. Der solchermaßen von Moskau verstoßene polnische Regierungschef sollte nicht nur alsbald von einem willfährigen polnischen Kommunisten im sowjethörigen „Lubliner Komitee“ ersetzt werden, sondern wenig später auch zu Tode kommen. Der mysteriöse Absturz seines Flugzeugs in der Nähe der spanischen Küste am 3. Juli 1943 setzte bekanntlich seinem Leben ein Ende. Sein Tod sollte freilich nicht das einzige Lebensopfer für das bekundete Interesse an der Wahrheit über Katyn sein.

Die Teilnehmer am nationalpolnischen Warschauer Aufstand im Sommer 1944 hatten es gleichermaßen zu büßen. Stalin beschimpfte sie öffentlich als ,,Verbrecher“ und ließ sie im Blickfeld seiner Truppen am östlichen Weichselufer ohne jede Hilfe, bis sie sich Anfang Oktober 1944 den deutschen Besatzern ergeben mussten. Sollte der Kremlherr allerdings damit gerechnet haben, dass die Deutschen die besiegten Aufständischen als vogelfreie ,,Banditen“ behandeln und erschießen würden, so hatte er sich verrechnet. Statt des von ihm erwarteten Groß-Massakers an der polnischen ,,Heimatarmee“ durch die deutschen Sieger vollzog sich vor dem deutschen Hauptquartier eine Begegnung, die an jene vom 23. September 1939 bei Modlin erinnerte. SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach-Zelewski empfing den Kommandeur der polnischen „Heimatarmee“, Graf Tadeusz Komorowski, mit Handschlag und sagte ihm eine Behandlung seiner Kämpfer und Offiziere nach den Vorschriften der Internationalen Landkriegsordnung zu. Ein Versprechen, das eingehalten wurde. Schon wenige Tage nach ihrer Kapitulation trafen die sich ergebenen Angehörigen der „Heimatarmee“ in deutschen Stammlagern („Stalags“) und Offizierslagern („Oflags“) ein, wo sie 1945 von westalliierten Truppen befreit wurden. Ein Deutschland belastendes „Hyper-Katyn“ fand nicht statt.

Gleichwohl suchten die Sowjets das Massaker an den polnischen Offizieren bei Katyn weiterhin den Deutschen anzulasten und veranstalteten dazu in Leningrad einen Schauprozess, bei dem sie ein angebliches „Schuldgeständnis“ erreichten. Entsprechend verlautbarte Moskau am 2. Januar 1946 die Meldung: „Die Nazischuld an dem Massenmord von Katyn wurde von einem deutschen Offizier vor einem Leningrader Gerichtshof zugegeben.“ Im Gegensatz zu den Befunden vom April 1943, die von einer internationalen Pathologenkommission beglaubigt worden waren, lautete die Version der Sowjets: ,,Aus einer Gruppe von deutschen Offizieren, die in Leningrad unter der Anklage des Kriegsverbrechens vor Gericht stehen, beschrieb der Angeklagte Düre, wie russische Frauen, Kinder und Greise von den flüchtenden deutschen Truppen ermordet wurden und erklärte, dass dabei im Walde von Katyn 10000 bis 20000 Menschen, darunter polnische Offiziere und Juden, von den deutschen Truppen erschossen und begraben wurden.“ Wie aus einer erläuternden Anmerkung deutlich wurde, sollte mit dieser Meldung über ein angebliches Geständnis eine „Bestätigung der Nürnberger Anklage“ dokumentiert werden. Die Sowjets hatten nämlich Katyn gleichfalls in die Anklagepunkte des Nürnberger Militärtribunals einfügen lassen, um sich auch auf dieser Ebene vor der Öffentlichkeit reinzuwaschen und ihre Schuldzuweisung an die Deutschen zu zementieren.

Briten und US-Amerikaner gingen diesen Schritt ihres sowjetischen Kriegsverbündeten mehr widerwillig als überzeugt mit, hatten sie doch schon im Sommer 1943 Zweifel an der Unschuld ihres Moskauer Bundesgenossen. Das macht ein Telegramm Premierministers Winston Churchill an US-Präsident Franklin D. Roosevelt vom 13. August 1943 deutlich. Darin bezeichnete der britische Regierungschef einen beigefügten Bericht seines Botschafters bei der polnischen Exilregierung als „eine schreckliche Geschichte“, welche er im Übrigen zurück haben wollte, sobald sie Roosevelt gelesen habe, da man sie „offiziell in keiner Weise herausgeben“ mochte. Wäre der geheime Bericht nämlich veröffentlicht worden, hätte alle Welt erfahren, dass man in London bereits im Sommer 1943 nicht an eine Täterschaft der Deutschen geglaubt hat.

Man hätte seitdem gewusst, dass auch die Londoner Sachverständigen den Aussagen jener Personen Glauben geschenkt haben, „die das Massengrab besucht haben: eine polnische Kommission, die unter anderem Ärzte, Journalisten und Angehörige des polnischen Hilfskomitees umfass­te, eine weitere polnische Kommission, der Priester, Ärzte und Mitglieder der Polnischen Gesellschaft vom Roten Kreuz angehörten“, ferner eine „Internationale Kommission von Kriminologen und Pathologen … Es ist von allen eidlich ausgesagt, dass mehrere hundert Identifikationen vorgenommen wurden.“

Als besonders bemerkenswertes Indiz für die Unschuld der Deutschen am Massaker von Katyn führte der von Churchill an Roosevelt geschickte Bericht „die Tatsache“ an, „dass eine Massenhinrichtung von gefangenen Offizieren nicht in Übereinstimmung mit dem sein würde, was wir von der Deutschen Wehrmacht wissen“, um dann zu folgern: „Hätten die deutschen Behörden diese 10000 polnischen Offiziere je in der Hand gehabt, könnten wir sicher sein, dass sie einige davon oder alle in die Lager in Deutschland gebracht hätten, die polnischen Gefangenen schon zugeteilt sind.“

Botschafter Owen O’Malley wandte sich am Schluss seines Geheimberichts noch der Frage nach der gemäßen Bewertung der sowjetischen Täterschaft und ihren moralischen Konsequenzen zu und beschreibt die politisch-moralische Lage der beiden Westmächte unverblümt mit den Worten: „.Wir sind verpflichtet gewesen, uns den Anschein zu geben, die gesunde und normale Funktion unseres verstandesmäßigen und moralischen Urteils zu verzerren … Wir haben den guten Namen Englands notgedrungen benutzt wie die Mörder die kleinen Kiefern benutzten, um ihren Massenmord zu verdecken“, um dann in einer opportunistischen Güterabwägung zu dem Schluss zu kommen: „Angesichts der ungeheuren Wichtigkeit der Demonstration alliierter Einigkeit und angesichts des heroischen Widerstandes Russlands gegen Deutschland werden nur wenige die Auffassung vertreten, dass ein anderes Verhalten klug und richtig gewesen wäre.“

Winston Churchill schloss sich dieser taktischen Überlegung an, wie er in seinem Telegramm an Roosevelt klar zum Ausdruck brachte; und Roosevelt ließ auch keinen Zweifel an der „Unschuld“ der Sowjets laut werden, sondern bemühte sich in erster Linie um die Wiederherstellung besserer Beziehungen zwischen der polnischen Exilregierung und dem Kreml. Bekanntlich hatte Stalin die diplomatischen Beziehungen zur Exilregierung General Władysław Sikorskis abgebrochen, als dieser auf das Angebot der deutschen Regierung und des Internationalen Roten Kreuzes eingegangen war und Beauftragte zum Massengrab von Katyn entsandt hatte. Der Kremlchef lehnte jedoch eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zur polnischen Exilregierung in London entschieden ab. An dieser Ablehnung änderte auch der immer noch nicht ganz aufgeklärte Tod Sikorskis im Juli 1943 nichts. Eine Verweigerung, die schließlich auch die polnische ,,Heimatarmee“ bei ihrem Aufstand 1944 schmerzlich zu spüren bekam, als ihr Stalin absichtlich jegliche entlastende Unterstützung versagte. Alfred Schickel


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren