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24.04.10 / Pädagogische Abgründe / Zum Jubiläum 100 Jahre Odenwaldschule kamen erschreckende Einzelheiten ans Licht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

Pädagogische Abgründe
Zum Jubiläum 100 Jahre Odenwaldschule kamen erschreckende Einzelheiten ans Licht

Lehrer vergingen sich an Schülern, diese quälten dann ihre Mitschüler. Täglich erreichen neue Details aus der Odenwaldschule die Öffentlichkeit. Sexueller Missbrauch und Misshandlungen hatten an der „Reformschule“ offenbar System. Dazu gehörten wohl auch Vergewaltigungen und Zwangsprostitution. Eigentlich unvorstellbar, dass die Odenwaldschule vor wenigen Tagen ihren 100. Geburtstag gefeiert hat.

Ob der „Runde Tisch“ gegen sexuellen Missbrauch, der erstmals am 23. April getagt hat, zu einem „öffentlichen Tribunal“ wird,  wie jüngst im „Spiegel“ gefordert, bleibt abzuwarten. Die frühere Familienministerin Christine Bergmann  (SPD) als unabhängige Beauftragte will zusammen mit Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) Licht in das Dunkel bringen. Nach der konstituierenden Sitzung soll die Arbeit in zwei Unterarbeitsgruppen weitergehen.

Sie werden viel zu tun haben, denn die Sachlage wird derzeit immer unübersichtlicher. Betroffen sind neben einzelnen katholischen Priestern oder Schulen auch evangelische Einrichtungen, staatliche Erziehungsheime und häufiger Sportvereine sowie Einrichtungen in freier Trägerschaft wie die Odenwaldschule.

Kompliziert wird die Lage dadurch, dass in den Medien sexueller Missbrauch mit körperlicher Misshandlung und früher verbreiteten Strafen wie Ohrfeigen durcheinander gebracht wird. Während das eine strafwürdige − wenn auch meist verjährte − Taten sind, handelt es sich bei „Watschen“ oder Schlägen mit einem Teppichklopfer um früher ziemlich akzeptierte Erziehungsmethoden. Doch derzeit wittern Rechtsanwälte von vermeintlichen Missbrauchsopfern ein ähnlich großes Geschäft wie in Amerika oder Irland. 250 ehemalige Heimkinder machten jüngst vor dem Brandenburger Tor ihren Unmut über den „Runden Tisch Heimerziehung“ unter der Leitung der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) Luft. Die Initiatoren meinten, dass Vollmer ungeeignet sei und die Fälle bagatellisieren würde. Die Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder (VeH), Monika Tschapek-Günter, forderte 50000 Euro Entschädigung für jedes misshandelte Heimkind. Bei geschätzten 50000 Betroffenen wäre das eine Zahlung von 25 Milliarden Euro.

In der Odenwaldschule blickt man unterdessen in menschliche und pädagogische Abgründe. Die jetzt berichteten Grausamkeiten waren offenbar ideologisch vorbereitet. Handelt es sich bei der Kirche angesichts der Größe dieser Organisation und der jahrzehntelangen Betrachtungsperiode immer noch um Einzelfälle (deren teilweise offenbar versuchte Vertuschung inakzeptabel ist, die aber niemand je gerechtfertigt hat), so entstanden an der einst hochgelobten Reformschule offenbar Systeme des Missbrauchs und der Misshandlung von Schutzbefohlenen.

Eltern, die ihre Kinder dort in gutem Glauben Lehrern und Erziehern anvertraut haben, sehen ihre Kinder und auch ihr Vertrauen missbraucht. Darunter sind Prominente wie der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, dessen Sohn Andreas die Odenwaldschule besuchte.

Obwohl der Bruch des Vertrauens bei kirchlichen Einrichtungen generell schwerer wiegen mag, muss in der Odenwaldschule   von einer ganz anderen Qualität des Skandalösen ausgegangen werden, denn das Internat galt vielen Liberalen bisher als eine Vorzeigeschule, wo ganzheitlich und mit neuen pädagogischen Methoden der Reformpädagogik am „neuen Menschen“ gearbeitet wurde. Auf der 100-Jahr-Feier der Schule am vergangenen Sonntag kritisierte der Pädagoge Ulrich Herrmann mit Recht das „peinliche Geschwafel vom ,pädagogischen‘ Eros“ – nur war es eben mehr als eine Peinlichkeit: Hier blitzte eine jahrelang anhaltende, kriminelle Praxis auf.

Dabei haben Schüler und Förderer der Schule aus den höchsten Kreisen der deutschen Gesellschaft übersehen, dass die altgriechische „Knabenliebe“ (Päderastie) hier schon früh propagiert wurde. Sie geht auf den Dichter und Dandy Stefan George (1886−1933) zurück, der die griechische Philosophie der „homo-erotischen Leidenschaft und Knabenliebe gewissermaßen zur zivilisatorischen Grundausstattung“ junger Männer machen wollte. Die Pädagogen des „Stefan-George-Kreises“ prägten maßgeblich die Odenwaldschule. Dies verbanden sie mit den Lehren des geistigen Vaters der Reformpädagogik Gustav Wyneken, der mit seinem 1906 veröffentlichten Programm der „Freien Schulgemeinde“ in den folgenden Jahrzehnten dreimal (1910, 1929, 1931) wegen Päderastie entlassen wurde.

Dessen Impulse galten Hellmut Becker, einem nach dem Zweiten Weltkrieg führenden Erziehungswissenschaftler und Leiter des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung, gleichsam als Evangelium. Becker hatte großen Anteil an der „Wiederbelebung“ der reformpädagogischen Debatten. Und eben dieser führende Pädagoge schlug seinen Namensvetter Gerold Becker als Schulleiter an der Odenwaldschule vor.

Die Reformpädagogen, so der evangelische Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf, propagierten eine andere, bessere Gesellschaft und hätten dafür den neuen, anders erzogenen Menschen gebraucht. Dafür benutzten sie die „Aura des Außergewöhnlichen“. Anleihen dazu hätten die Reformpädagogen aus den Ideen des modernen Protestantismus genommen. Prominente Reformpädagogen wie Hermann Lietz, Gustav Wyneken, Peter Petersen oder Paul Geheeb hatten vorher evangelische Theologie studiert und sich in kulturprotestantischen Vereinen organisiert. Graf fasst zusammen: „Ihre Visionen einer anderen Erziehung in besseren, freien Schulen standen in engem Zusammenhang mit ihrer religiösen Hoffnung auf eine Wiederverzauberung der als sinnleer, kalt und fragmentiert erlebten Moderne.“ Das Scheitern dieses Reformmodells lasse das „aufgeklärte, liberale Deutschland und seine Elite“, so die liberale „Zeit“, nun in den Abgrund blicken.    H. E. Bues


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