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24.04.10 / Polens dezimierte Elite / Mehr noch als Grausamkeiten haben Emigrationswellen das Land ausbluten lassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

Polens dezimierte Elite
Mehr noch als Grausamkeiten haben Emigrationswellen das Land ausbluten lassen

Alt „zweites Katyn“ hat Polens Ex-Präsident Lech Walesa den Flugzeugabsturz bei Smolensk mit 96 Toten bezeichnet. Polen habe bei dem Unglück einen Teil seiner Elite verloren. Die drastische Formulierung berührt einen bitteren Punkt in Polens Geschichte.

Katyn ist für Polen ein Schreckenswort nicht nur wegen der unerhörten Grausamkeit der Massenerschießung von über 22000 Menschen. Besonders fatal ist, dass sich dieses Massaker, dem ähnliche sowjetische Verbrechen vorausgingen und folgten, gegen polnische Offiziere und Intellektuelle richtete, also gegen die Oberschicht das Landes und damit gegen seine Fähigkeit, als unabhängiger Staat in der Völkergemeinschaft und als Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu bestehen.

Doch nicht nur durch russische und (leider Gottes sogar eher noch größere) deutsche Grausamkeiten in den 1940er Jahren hat Polens intellektuelle Elite Verluste erlitten. Vor und nach den Verbrechen von Stalinismus und Nationalsozialismus war es vor allem die Emigration, die die Elite des Landes immer wieder reduzierte.

Der Serie niedergeschlagener Aufstände in den gut 120 Jahren nach der dritten polnischen Teilung von 1795 folgte regelmäßig eine Auswanderungswelle. Die meisten Emigranten assimilierten sich schnell an ihre Aufnahmeländer, zu denen neben Preußen/ Deutschland und Österreich insbesondere die USA gehörten. Darum kehrte nach der Wiederherstellung des unabhängigen polnischen Staates 1919 (der aber schon im Ersten Weltkrieg eine von Deutschland ermöglichte Gründung vorangegangen war) auch nur ein kleiner Teil der Emigranten zurück.

Auch ohne erfolglose Aufstände hatte die Zeit der Staatenlosigkeit einen negativen Effekt auf das intellektuelle Potenzial des heutigen 40-Millionen-Volkes: Als nationalbewusster Pole konnte man in dieser Zeit jahrzehntelang allenfalls in Österreich-Ungarn beispielsweise Minister oder General werden. Wer dennoch „nach Höherem strebte“ musste als Pole insbesondere in „Russisch-Polen“ entweder sein Volkstum verleugnen oder eben emigrieren.

Nach 1945 setzte sich der nachhaltige Aderlass in mehreren Wellen fort: 1945/48, 1968 und massiv nach 1989 verließen Hundertausende meist junger und überdurchschnittlich qualifizierter und aktiver Polen ihr Land. Mit den Emigrationswellen von 1946 (nach dem Pogrom von Kielce) und 1968 verließen überdurchschnittlich viele polnische Juden das Land. Nach 1918 und erneut durch die Aussiedlung im Grunde ab 1950 verlor Polen zudem über drei Millionen deutsche und deutschstämmige Bürger (um von der eigentlichen Vertreibung Ostdeutscher aus Ostdeutschland einmal nicht zu reden) – dieser Teil des dauernden Aderlasses war freilich „selbstgemacht“.

Weit seltener in seiner Geschichte war Polen dagegen das Ziel der Einwanderung größerer Gruppen von Leistungsträgern und Talenten. Ein Beispiel dafür ist die Massenflucht deutscher Juden nach Polen im Zuge der großen Verfolgung bei der Pestepidemie von 1348/49, ein anderes die Aufnahme vieler Juden nach deren Vertreibung aus Spanien 1492. Noch Jahrhunderte später stellten Juden einen großen Teil der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite Polens.

Nach 1990 zog es mehrere Hunderttausend Polen ins europäische Ausland. Die meisten von ihnen haben zumindest eine abgeschlossene Ausbildung, aber sehr viele haben studiert. Dieser Verlust ist für Polen insofern tragisch, als just seit dieser Zeit durch Marktwirtschaft, Demokratie und europäische Integration an sich wieder gute Zukunftsperspektiven im Lande selbst bestehen. Konrad Badenheuer


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