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24.04.10 / Schröders »Ich-AG« in Königsberg / Gegen steigende Arbeitslosigkeit versuchen die Russen es mit einem deutschen Rezept – und bekommen ähnliche Probleme

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

Schröders »Ich-AG« in Königsberg
Gegen steigende Arbeitslosigkeit versuchen die Russen es mit einem deutschen Rezept – und bekommen ähnliche Probleme

Seit Beginn der Wirtschaftskrise ist im Königsberger Gebiet wie auch andernorts in der Russischen Föderation die Arbeitslosenquote stark gestiegen. Selbst Fachkräfte sind nur schwer zu vermitteln. Seit kurzem sieht ein Regierungsprogramm die Schaffung von „Ich-AGs“ für risikofreudige Arbeitslose vor.

Kaum ein Russe hätte sich träumen lassen, dass er das Wort „arbeitslos“ noch einmal aussprechen müsste. In den vergangenen zehn Jahren litt Russland stets an einem Mangel an Arbeitskräften. Das hat sich mit der Krise schlagartig verändert. Doch wie stellt sich das Problem der Arbeitslosigkeit nun dar, wo es doch laut Regierung allmählich wieder aufwärts gehen soll? Können die Arbeitsvermittler wieder ausreichend Arbeitsplätze anbieten?

In den vergangenen anderthalb Jahren musste im Königsberger Gebiet eine ganze Reihe von Industriebetrieben ihre Tore schließen, vor allem in den Bereichen Elektrotechnik, Kühlschrankmontage und Möbelbau.

Im Königsberger Hafen fielen viele Arbeitsplätze weg, auch im Baugewerbe und in der Automontage gab es Entlassungen. Insgesamt verloren laut offizieller Statistik über 18000 Menschen ihre Arbeit. Dabei sind nur diejenigen gezählt, die sich bei der Arbeitsvermittlungsagentur als arbeitssuchend gemeldet hatten. Zählt man die „versteckte“ Arbeitslosigkeit hinzu (diejenigen, die nicht oder aber auf eigene Faust Arbeit suchen) und diejenigen, die Teilzeit arbeiten oder sich teils für mehrere Monate im unbezahlten Urlaub befinden, so übersteigt die tatsächliche Arbeitslosenzahl die offizielle um ein Vielfaches.

Eine Besonderheit des Königsberger Gebiets besteht darin, dass die Arbeitslosigkeit ungleichmäßig verteilt ist. Kann man in Königsberg zumindest noch gering bezahlte Arbeit finden, so gibt es in den übrigen Kreisen des Gebiets meist nicht einmal mehr diese, so dass die Menschen ihr Glück in der Hauptstadt versuchen.

In Königsberg stehen derzeit für alle Arbeitslosen ungefähr 3000 offene Stellen zur Verfügung. Welche Berufe sind heute gefragt und wie werden sie bezahlt? Der Unterschied der Gehälter ist groß, für ein und dieselbe Tätigkeit werden völlig unterschiedliche Löhne gezahlt. Ein Abteilungsleiter kann beispielsweise mit einem Gehalt von umgerechnet 204 bis 764 Euro rechnen. Ein einfacher Mitarbeiter verdient zwischen 5000 und 10000 Rubel (127 und 255 Euro). Einige Arbeitgeber bieten sogar einem Generaldirektor nur ein Gehalt um 7000 Rubel (178 Euro) an, eine absolut lächerliche Summe, besonders, wenn man die Anforderung an die Bewerber bedenkt: Sie sollen eine leitende Tätigkeit in einem ausländischen Unternehmen vorweisen können, zwei Fremdsprachen beherrschen, Erfahrung in einem vergleichbaren Bereich und mindestens fünf Jahre Berufserfahrung haben. Ein solches Gehalt liegt kaum über dem in Königsberg geltenden Mindesteinkommen von 6000 Rubel (153 Euro). Tatsächlich wird in diesem Falle hinter verschlossenen Türen aber über ganz andere Zahlen verhandelt werden. Im Königsberger Gebiet, wie auch in der ganzen Russischen Föderation, ist es üblich, offiziell wenig zu zahlen, und den Rest des vereinbarten Gehalts im „Umschlag“ zu überreichen, um Steuern und Sozialabgaben zu „sparen“.

Ein Ingenieur oder Fahrer erhält auf diese Weise offiziell 5000 Rubel (127 Euro), der Direktor eines Unternehmens von 7000 (178) bis 45000 Rubel (rund 1150 Euro), ein Maurer von 5000 (127) bis 20000 Rubel (510 Euro). Die meisten gut bezahlten Stellen werden der Arbeitsvermittlung erst gar nicht gemeldet, worüber die Arbeitsämter klagen.

Vor allem offene Stellen für Fachleute in privaten Unternehmen werden der Arbeitsvermittlung noch gemeldet, denn viele Arbeiter nehmen zur Zeit an Fortbildungsprogrammen teil. Nach erfolgreicher Beendigung der Kurse werden die Teilnehmer potentiellen Arbeitgebern vorgestellt. In letzter Zeit hat deren Nachfrage jedoch deutlich abgenommen. Darüber hinaus werden berufsbegleitende Umschulungen angeboten. Dieses Programm gibt es erst seit kurzem. Es setzt auf die Selbständigkeit, das heißt, die Teilnehmer dieses Programms erhalten vom Arbeitsamt umgerechnet 1500 Euro dafür, dass sie über eine Beschäftigungsagentur ihr eigenes Unternehmen gründen und sich als eine Art „Ich-AG“ registrieren lassen. Wenn dieser Alleinunternehmer weitere Arbeitslose bei sich beschäftigt, erhält er zusätzlich denselben Betrag für jeden Beschäftigten. Bislang haben 200 Arbeitslose ihre Geschäftsidee eingereicht, im gesamten Gebiet rechnet man mit der Gründung von 700 solcher „Ich-AGs“. Diese Maßnahme wird die Arbeitslosenproblematik allerdings nur wenig entschärfen. Die überwiegende Mehrheit der neuen „Unternehmer“ lebt zudem als Kleinhändler vom Wiederverkauf von Waren, die sie aus der Türkei oder China beziehen.

In diesem Jahr ist die Zahl der Einzelunternehmer, die aus der Kranken- und Rentenversicherung ausgeschlossen wurden, um das Zweieinhalbfache gestiegen. Diese subventionierte Konkurrenz hat viele der bereits bestehenden Kleinunternehmer zur Geschäftsaufgabe gezwungen. Jurij Tschernyschew


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