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24.04.10 / Sehnsucht nach dem Land der Kindheit / Emil Nolde und Theodor Storm: Zwei Norddeutsche werden weltbekannt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

Sehnsucht nach dem Land der Kindheit
Emil Nolde und Theodor Storm: Zwei Norddeutsche werden weltbekannt

Emil Nolde und Theodor Storm, zwei Künstler, die man gemeinhin nicht in einem Atemzug nennt. Dennoch sind Gemeinsamkeiten zu entdecken.

Der Reiselust des Malers Emil Nolde ist eine Ausstellung gewidmet, die derzeit in der Dependance des Nolde-Museums Seebüll in Berlin zu sehen ist. Nolde ist Zeit seines Lebens viel und weit gereist. Neben seiner wohl bekanntesten Reise in die Südsee in den Jahren 1913/14 verbrachte er auch in Deutschland sowie innerhalb Europas mehrere Wochen, die sich im Schaffen des Malers niedergeschlagen haben. Sei es im winterlichen Cospeda bei Jena oder in Spanien, sei es vor der beeindruckenden Kulisse der Schweizer Alpen oder an der vom Sturm zerzausten Nordseeküste, stets hielt der Künstler seine Eindrücke von Natur und Menschen mit sicherer Hand und genauem Blick im Aquarell oder auch im Ölbild fest.

Die Ausstellung „Reiselust – Emil Nolde unterwegs in Deutschland, Spanien und der Schweiz“ zeigt 13 Gemälde sowie über 100 Aquarelle aus der Sammlung der Nolde Stiftung, die während Noldes Aufenthalten in Cospeda, Granada, St. Peter-Ording, auf der Insel Sylt und in der Schweiz entstanden. Zahlreiche Arbeiten sind zum ersten Mal öffentlich zu sehen.

Was kaum einer weiß: Nolde ließ sich von 1884 bis 1891 als Schnitzer und Zeichner an der Kunstgewerbeschule in Flensburg (heutiger Museumsberg Flensburg) ausbilden. Er war dort an der Restaurierung des Brüggemann-Altars beteiligt. Eine frühe Arbeit ist auch im Husumer Storm-Museum zu sehen. Zu seinem 70. Geburtstag am 14. September 1887 schenkten Verehrerinnen aus Kiel dem Dichter Theodor Storm (1817–1888) einen „kunstvollen Schreibtisch“, dessen Oberteil von vier „tiefsinnigen Eulen“ getragen wurde. An diesem Schreibtisch arbeitete Storm an seinem letzten großen Werk, dem „Schimmelreiter“. Die Vorarbeiten nahmen den Dichter fast drei Jahre in Anspruch. Er musste eine ursprünglich in Westpreußen angesiedelte Spukgeschichte glaubwürdig nach Schleswig-Holstein verlegen und „in eine würdige Novelle“ verwandeln, die „mit den Beinen auf der Erde steht“. Das ist Storm zweifellos gelungen, denn das Werk fand allerorten große Anerkennung. Paul Heyse nannte es „ein gewaltiges Stück, das mich durch und durch geschüttelt“.

Mehr über Leben und Werk des Dichters erfährt der Literaturfreund in einem neuen Buch aus dem Hamburger Ellert & Richter Verlag. Karl Ernst Laage, der Nestor der Storm-Forschung und Gründer des Storm-Museums in Husum, erzählt darin spannend und unterhaltend vom Dichter der „grauen Stadt am Meer“, der zu den meistgelesenen des 19. Jahrhunderts zählt. Storm schuf 56 Novellen, Märchen und Erzählungen, 400 Gedichte, allerdings keinen Roman und kein Drama. „Durch die Einführung eines persönlichen Erzählers“, so Laage, „gelingt es Storm, eine Situation zu schaffen, die beim Leser den Eindruck erweckt, als ob wirklich mündlich erzählt würde. Diese Erzähltechnik wird von Storm so verfeinert, dass das Novellengeschehen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird und die einzelnen Szenen in einem – vom Dichter bestimmten – Licht erscheinen. So gewinnen Storms Novellen eine besondere Farbigkeit und Lebendigkeit.“ Eine besondere Farbigkeit findet man auch in den Bildern Emil Noldes. Flammende Blüten, roter Himmel über grünem Meer, gelbe Wolken über schwarzen Wiesen – „Das Licht zaubert Wunderbares in die karge Menschenlandschaft“, schrieb Nolde einmal. Dieses Licht hat er in seinen Bildern eingefangen. Erdige Töne lassen die auffälligen Farben erst recht lodern. Noldes Werk zählt zu den revolutionärsten des 20. Jahrhunderts. Es war durchzogen von der norddeutschen Heimat, in die er immer wieder nach vielen Reisen zurückkehrte. Wann immer er unterwegs war, nach einiger Zeit stellte sich die Sehnsucht nach dem Land der Kindheit ein. „Das Elternhaus zog mich an sich und die Heimat. Die reifen Kornfelder. Die Herbstwolken, die Ebene.“

„Nolde, der die Natur mit leidenschaftlichen Sinnen aufnahm, sah darin mehr als nur Nebel, Wolken, Wogen, Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge“, schreibt Anna Brenken in einem neuen Buch über Emil Nolde. „Für ihn war die Natur belebt mit Trollen, Riesen, Zwergen, Gnomen, Hexen – den archaischen Spukgestalten, die der Verstand nicht zu erklären vermag … In Theodor Storms Novelle ,Der Schimmelreiter‘ ist diese norddeutsche ‚Spökenkiekerei‘ auf das Schönste literarisch festgehalten. In Emil Noldes Landschaftsbildern spuken andere nordische Gei-ster …“

Das Leben des Malers wird in dem neuen Buch auf vielfältige Weise nachgezeichnet. Die Autoren sind nicht nur der Farbe auf der Spur, sondern auch der Landschaft und den Menschen, die das Werk des Künstlers prägten. Wenn die Leute in Nordschleswig Nolde sahen, dann sagten sie im Nachschauen: „Der Maler tut segeln, mit dem Wind gegen den Wind und mit dem Wind gegen sich.“ Silke Osman

Die Ausstellung „Reiselust“ der Nolde Stiftung Seebüll, Dependance Berlin, Jägerstraße 55, ist noch bis 4. Juli täglich von 10 bis 19 Uhr zu sehen, Eintritt 8/3 Euro

Günter Kunert, Frank Gerhard, Anna Brenken: „Nordfriesland im Licht – Auf den Spuren Emil Noldes“, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2010, 112 Seiten mit 34 Abbildungen, broschiert, 8,95 Euro

Karl Ernst Laage: „An’s Haff nun fliegt die Möwe – Auf Theodor Storms Spuren“, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2010, 112 Seiten mit 42 Abbildungen, broschiert, 8,95 Euro


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