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24.04.10 / Aufstieg einer Arbeitertochter / Ein atmosphärischer, in den 60er Jahren angesiedelter Bildungsroman

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

Aufstieg einer Arbeitertochter
Ein atmosphärischer, in den 60er Jahren angesiedelter Bildungsroman

Nun liegt er also vor, Ulla Hahns zweiter großer, biographisch gefärbter Roman über Hilla Palm, das Kind „aus Dondorf am Rhein zwischen Düsseldorf und Köln“. „Aufbruch“ lautet der schlichte Titel.

Mittlerweile schreibt man das Jahr 1963. Hilla ist 17 Jahre alt, Schülerin eines Aufbaugymnasiums und von Lerneifer erfüllt. Tagsüber hat sie anspruchsvollen Deutsch- und Lateinunterricht und muss sich mit höherer Mathematik auseinandersetzen, um nachmittags in das bildungsferne Elternhaus zurückzukehren, wo Kölsch gesprochen wird und wo man das Radio abstellt, sobald klassische Musik ertönt. Hochdeutsch sprechen ihre Eltern und die Großmutter nur „für Kirche und Kirchenmänner“. Dorftratsch spielt dagegen im Leben der Mutter, einer Putzfrau, eine wichtige Rolle. Der geliebte Großvater mit seinen tröstlichen „Buchsteinen“ lebt nicht mehr, doch mit ihrem Bruder Bertram, der ebenfalls das Gymnasium besucht, pflegt Hilla eine verschworene Gemeinschaft. Geschlagen wird sie nun nicht mehr. Wie früher aber entflieht sie der häuslichen Enge, indem sie sich mit ihren Büchern in den Holzschuppen im Garten zu- rückzieht.

Ulla Hahn ist daran gelegen, ihren Lesern die Atmosphäre der 60er Jahre unmittelbar nahezubringen, anhand der beklemmenden Erfahrungen der Protagonistin ebenso wie mittels amüsanter Szenen wie dem Umgang mit dem ersten Quelle-Katalog, aus dem Tante und Cousine auf Kölsch vorlesen. Die Sprache der Autorin ist klar und direkt, unter Verzicht auf assoziatives Schreiben und Zeitsprünge. Nur wenn sie tiefe Gefühle zum Ausdruck bringen möchte, holt sie weit aus und bedient sie sich entsprechender Stilmittel.

Nunmehr hat die zielstrebige und lernwütige Hilla Kontakte zu Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft. In Buches Buchhandlung beginnt der Flirt mit dem Fabri-kantensohn Godehard van Keuken. Die Episode dieser Liaison gehört mit zum Reizvollsten, was der Roman zu bieten hat: der geschickt herausgestellte Gegensatz zwischen der jungen Intellektuellen aus dem Arbeitermilieu und dem wegen seiner Neigung zur Wissenschaft gewissermaßen ebenfalls aus der Art geschlagenen Geologiestudenten.

Dass Hilla dem Werben des eher spröden Godehard nachgibt, ohne in ihn verliebt zu sein, wird als quasi natürliche Handlungsweise vom Standpunkt der Benachteiligten aus beschrieben. Vom Standpunkt des Lesevergnügens aus ist es dagegen sehr zu bedauern, dass sie ihrem schwer verliebten Verehrer den Laufpass gibt, nachdem dieser ihr Wohnhaus als ein „Loch“ bezeichnet hat.

Und in der Buchhandlung erfährt Hilla dann noch etwas über ihren einstigen Verehrer, was sie zusätzlich verärgert. Recht hart wird zudem verbal gegen die Millionärsgattin ausgeteilt, deren Söhnen Hilla Nachhilfestunden gab und von der sie wie eine Dienstmagd behandelt worden war.     

Doch es bleibt hervorzuheben, dass dieser unterhaltsame Entwicklungs- und Bildungsroman aus einer kulturell schon fremd und fern wirkenden Zeitepoche, seinen Lesern eine echte Bereicherung zu bieten hat. Dagmar Jestrzemski

Ulla Hahn: „Aufbruch“, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009, gebunden, 592 Seiten, 24,95 Euro


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