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24.04.10 / Har(t)zer Mentalitäten / Von Anstrengungslosigkeit und Armut in der Mitte Deutschlands – Eindrücke einer Reise

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

Har(t)zer Mentalitäten
Von Anstrengungslosigkeit und Armut in der Mitte Deutschlands – Eindrücke einer Reise

„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“, lautet ein Sprichwort. Und nicht immer sind es positive Erlebnisse, die der Reisende mit nach Hause bringt.

Herrlicher Schnee, 70 bis 140 Zentimeter hoch, bei schönstem Sonnenschein, lockten in diesem Jahr noch bis Mitte März viele kurzentschlossene Winterurlauber in die Höhen des Harzes. Dort warten auf den anreisenden Gast Urlaubsorte wie Clausthal-Zellerfeld, Sankt Andreasberg oder der Hauptort Braunlage. Dass sich viele Touristen in „Sorge“ und „Elend“ einquartieren werden, so heißen tatsächlich zwei Flecken im Ostharz, ist schwer vorstellbar. Durchfährt man diese Ortschaften mit den meist braunen oder schwarzen Holzhäusern, vermitteln sie einen trostlosen Eindruck. Einzig die rot-weißen Werbeschilder für den „Schierker Feuerstein“, einen populären Kräuterschnaps, lockern das Bild ein wenig auf. Viele Geschäfte stehen leer, überall laden „Zimmer frei“-Schilder den Gast zum Bleiben ein.

Doch der Gast traut sich kaum hinein in die Häuser und Gästeunterkünfte, denn die sehen so aus, als sei in den letzten 30 oder 40 Jahren nichts investiert worden. Sicherer scheint da der Aufenthalt in einem offiziell als „Vier-Sterne-Hotel“ klassifizierten Hotel mit „neu erbautem“ Wellness-Bereich. Bei näherem Hinsehen stellt der Gast allerdings hier fest, dass der Wellness-Bereich schon 1999 errichtet wurde. Im Harz gilt offenbar eine andere Zeitrechnung. Die Gäste klagen zudem darüber, dass der angekündigte „Whirlpool“ inzwischen stillgelegt ist und die „römische Dampfsauna“ nur alle zwei Tage und dann für zweieinhalb Stunden betrieben wird. Auch das Bistro des Hotels ist tagsüber geschlossen, so muss sich der Gast woanders etwas zum Essen und Trinken besorgen. Haben die Wirtsleute keine Lust zu arbeiten?

Diesen Eindruck bekommt der Reisende im Oberharz in der Folge immer wieder. Viele Cafés und Hotels sind geschlossen, weil die Saison vorbei sein soll, wie die Harzer auf Nachfrage antworten.

Hotels, die ein ansprechendes Angebot unterbreiten können, sind im Harz durchaus begehrt. Ob die Gäste allerdings wiederkommen, scheint fraglich, denn oftmals fühlen sie sich durch einen wenig gastfreundlichen Ton abgeschreckt. So teilte ein Hotelbesitzer dem ankommenden Gast gleich zur Begrüßung mit, dass er leider nur das kleinste Zimmer bekommen könne, da er ja mit einem billigen Pauschalanbieter angereist sei. Und wenn dann dem Gast im Restaurant wie in alten Zeiten noch ein (schlechter) Tisch zugeteilt wird, ist es mit der Urlaubsstimmung schnell vorbei.

Die Daten des Statistischen Bundesamtes verraten, dass im Harz doppelt so viele Menschen sterben wie geboren werden. So verliert eine traditionsreiche Stadt wie Goslar (Weltkulturerbe Kaiserpfalz) jährlich über 1000 Einwohner.

Die Immobilienpreise sollen im Harz mit die niedrigsten in ganz Deutschland sein. Beispielsweise wird in wunderschöner Berglage, mit freiem Blick auf den Brocken, eine gut ausgestattete, 56 Quadratmeter große Ferienwohnung angeboten: vormals für 28000, jetzt für ganze 18000 Euro. Das sind 300 Euro pro Quadratmeter. Sie findet auch zu diesem Preis keinen Käufer.

Von der deutschen Wiedervereinigung vor 20 Jahren scheint der Harz wenig profitiert zu haben. Dort, wo die „Zonengrenze“ den West- und Ostharz teilte, läuft heute die „Grenzloipe“, ein schöner Skiwanderweg. Viel mehr ist hier nicht passiert. Aus dem Tal hört man eine nostalgische Dampflock pfeifen. Sie bringt Touristen auf den Brocken hinauf. Viele im Oberharz scheinen sich derweil immer mehr von einem aktiven und arbeitsamen Leben zu verabschieden. Jugendliche ziehen, sobald die Schule abgeschlossen ist, schnell von hier weg. Zurück bleiben viele Senioren und Hartz-IV-Empfänger. In Braunlage-Hohegeiß lebten einmal 2000 Einwohner, heute sind es noch 1000, die wenigsten im aktiven Arbeitsleben.

Auch die Kirchen teilen dieses Schicksal. Im Schaukasten des katholischen Gemeindezentrums von Hohegeiß hängen noch die Mitteilungen aus dem Jahr 2009. Die Stufen zur Kirche ist schon lange keiner mehr hinauf gegangen. In Braunlage, dem Hauptort der „Urlaubsregion Harz“, musste die Zahl der Gottesdienste eingeschränkt werden. Mit schwarzen Klebestreifen hat man hier kurzerhand die ausfallenden Gottesdienste am Ortseingangsschild durchgestrichen. Der Betonbau der katholischen Kirche, hoch oben auf dem Berg, wirkt wie ein Fremdkörper inmitten der Holzbauten.

Im Gegensatz dazu die beiden evangelischen Kirchen des Ortes, schöne alte Holzkirchen, die ihre Türen tagsüber für Besucher geöffnet haben. Schlecht besucht sind allerdings auch hier die Gottesdienste, nur zu Erntedank und zu Weihnachten strömen die Besucher in größerer Zahl, berichten Einheimische.

Ob es im Harz inzwischen mehr Hexen als Einwohner gibt, darüber gibt es noch keine statistischen Daten. Populär sind die Hexen im Harz allemal. Die Walpurgisnacht vom 30. April auf den 1. Mai wird überall als esoterisches beziehungsweise okkultes Ereignis gefeiert. In fast jedem Haus findet man die düsteren Hexenpuppen mit dem Reisigbesen zwischen den Beinen. In einem vornehmen Hotel sitzt sogar eine lebensgroße „Hexe“ in einem Sessel des Aufenthaltsraums. Die Leute von der Tourismusförderung im Harz – eine Kurtaxe wird überall erhoben – scheinen die Hexen zu lieben. Auf den Werbe-Logos der Region dürfen sie nirgendwo fehlen.           Hinrich E. Bues


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