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24.04.10 / »Das Große Spiel« im Ruhr Museum / Eine Ausstellung in Essen widmet sich der »Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

»Das Große Spiel« im Ruhr Museum
Eine Ausstellung in Essen widmet sich der »Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus«

Die Büste der ägyptischen Königin Nofretete, das Ischtar-Tor von Babylon und der Pergamonaltar ziehen alljährlich Hunderttausende von Besuchern an. Sie gelten als „deutsches“ Kulturgut ersten Ranges, obwohl sie aus Nordafrika und dem Vorderen Orient stammen. Aber wie ist es überhaupt zu ihrem Erwerb gekommen?

Für Aufklärung sorgt eine opulente Schau im Essener Ruhr Museum. Sie ist die überhaupt erste, die uns auf die enge Verbindung zwischen Archäologie und Politik in der Zeit des Kolonialismus aufmerksam macht. In theatralischen Inszenierungen werden 25 Biografien bedeutender deutscher, englischer und französischer Forschungsreisender und Ausgräber vorgestellt. Aufgeboten sind über 800 Ausstellungsstücke: Habseligkeiten der Entdecker, historische Dokumente, Fotografien und Filme sowie archäologische Funde aus Nordafrika, dem Vorderen Orient und von der Seidenstraße. Zu den Leihgebern gehören der Pariser Louvre, das Britische Museum in London und das Berliner Pergamonmuseum.

Der Ausstellungstitel „Das Große Spiel“ steht für den kulturellen und wissenschaftlichen Wettstreit der europäischen Großmächte um prestigeträchtige Ausgrabungsstätten, deren spektakuläre Funde noch heute den Ruhm der Museen in Paris und London bestimmen. Im jungen deutschen Kaiserreich blickte man voller Neid auf die mit Prachtstücken gefüllten ausländischen Museen und war um Ebenbürtigkeit bemüht. Der von der Archäologie begeisterte Kaiser Wilhelm II. unterstützte diese Bestrebungen. Er war Protektor der Deutschen Orient-Gesellschaft und finanzierte aus seinem Dispositionsfonds Grabungen. Durch sein Engagement hat er maßgeblich zum Kunstreichtum der Berliner Museumsinsel beigetragen.

Die Schau stellt uns die vom Londoner Reiseveranstalter Thomas Cook 1898 organisierte Fahrt des deutschen Kaiserpaares ins Heilige Land als Medienspektakel vor. Krönender Abschluss der Reise war das kaiserliche Zeltlager in den römischen Tempelruinen von Baalbek. Die beeindruckten Wilhelm II. so sehr, dass er beim Osmanischen Reich eine Grabungslizenz erwirken ließ. Nach Abschluss der Untersuchungen wurde vor Ort ein Museum eingerichtet. Die ausgestellte Löwenskulptur aus Kalkstein (Baalbek, 1. Jahrhundert n. Chr.) gehört zu den Geschenken, die der Kaiser daraufhin vom türkischen Sultan Abdul Hamid II. erhielt.

Während seiner Reise durchs Heilige Land hatte sich Wilhelm II. beim Sultan zudem nachdrücklich für die deutschen Grabungen in Babylon und Milet eingesetzt. Bei den ab 1899 unter Leitung des Architekten Robert Koldewey in Babylon ausgeführten Grabungen wurden Abertausende von farbig glasierten Ziegelbruchstücken (6. Jh. v. Chr.) in hölzerne Transportkisten gepackt und nach Erlangung einer Sonderausfuhrlizenz nach Berlin geschickt. Zwei der Kisten sind mitsamt Inhalt ausgestellt. Die Ziegeltrümmer lassen uns erahnen, welch enorme Leistung es war, das Ischtar-Tor und die Prozessionsstraße zusammenzupuzzeln. Sie gehören heute zu den großen Attraktionen des Berliner Pergamonmuseums.

Am Ende des Rundgangs treffen wir auf den Tropenhelm und das mit Moskitonetz ausgestattete Feldbett von Ludwig Borchardt. Der Architekt vertrat als „egyptologischer Attaché“ die archäologischen Interessen des Kaiserreichs am Nil. Der 1912 in Amarna gelungene Fund der Büste der Nofretete (um 1338 v. Chr.) war sein spektakulärster. Damals war gesetzlich festgelegt, dass die Funde zwischen Ägypten und den Ausgräbern aufgeteilt werden. Der von einem Franzosen geleitete Ägyptische Antikendienst wählte andere Stücke als die Büste der Nofretete aus. In der Schau ist sie durch eine für Kaiser Wilhelm II. angefertigte Kopie vertreten. Sie war ein Geschenk des jüdischen Unternehmers und herausragenden Kunstmäzens James Simon, der die Ausgrabungen bezahlt hatte.

Rund um die Kopie sind Karikaturen und Zeitungsausschnitte aus den 1920er und 1930er Jahren zu sehen. Sie zeugen von den Anfängen des bis heute nicht abgeschlossenen Gerangels um den Besitz der originalen Büste der Nofretete. Als die von Simon den Berliner Museen übergebene Büste 1924 erstmals ausgestellt wurde, forderte Pierre Lacau, Chef des Ägytischen Antikendienstes, ihre Rückgabe. Da an der Legalität der Fundteilung nicht gezweifelt werden kann, verlegte sich Lacau darauf, diese als moralisch verwerflich zu beklagen. Pikante Fußnote: 1933 ließ der neue preußische Ministerpräsident Hermann Göring die Regierung Ägyptens wissen, dass er die Nofretete König Fuad zu dessen Regierungsjubiläum zu überreichen gedenke. Von Görings Alleingang war Adolf Hitler allerdings nicht begeistert. Er ließ den Ägyptern mitteilen, dass aus diesem Staatsgeschenk nichts wird. Veit-Mario Thiede

Die Ausstellung „Das Große Spiel – Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus (1860–1940)“ ist bis zum 13. Juni 2010 im Ruhr Museum, Zollverein A 14 (Schacht XII, Kohlenwäsche), Gelsenkirchener Straße 181, Essen, Telefon (0201) 8845-200, Fax (0201) 8845-138, Internet: www.ruhrmuseum.de, täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Das Begleitbuch aus dem DuMont-Verlag kostet im Museum 39,90 Euro, im Buchhandel 49,90 Euro.


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