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01.05.10 / Zur Sprengfalle mutiert / Niedersachsens neue Sozialministerin Özkan hatte Merkels Wohlwollen − bis sie die ersten Interviews gab

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-10 vom 01. Mai 2010

Zur Sprengfalle mutiert
Niedersachsens neue Sozialministerin Özkan hatte Merkels Wohlwollen − bis sie die ersten Interviews gab

CDU und CSU kämpfen um die politische Mitte und um „neue Wählergruppen“, etwa eingebürgerte Türken. Bei diesem Kampf muten sie ihrer christlich-konservativen Stammwählerschaft vieles zu. Die Ernennung von Aygül Özkan zur Landesministerin hat schlaglichtartig die Grenzen von Merkels Strategie sichtbar gemacht.

Es gibt nur wenige Berufe, bei denen so genau auf die richtige Formulierung und Wortwahl geachtet wird wie bei den Juristen. Daher ist es kaum denkbar, dass Aygül Özkan, seit 1998 Rechtsanwältin, nicht wusste, was sie mit ihren Aussagen zum Kreuz in deutschen Schulen und zum EU-Beitritt der Türkei auslösen würde. Auch kannte die 1971 in Hamburg geborene Tochter eines aus der Türkei eingewanderten Gastarbeiterpaares den Spagat, den ihre Partei angesichts abschmelzender Stammwählergruppen seit Jahren versucht. Doch offenbar hat sie nicht bedacht, dass sich ihre Partei, die zwischen christlich-konservativer Stammklientel und der auch linksliberalen Mitte laviert, das offene Lob türkischer EU-Ambitionen gerade aus ihrem Mund nicht leisten kann. Jedenfalls begann Özkan ihren Karrieresprung von der einfachen Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten zur niedersächsischen Ministerin mit einer doppelten Provokation ihrer Partei.

Innerhalb eines Tages hatte der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) die durch Özkans Äußerungen aufgerissene Wunde in der brüchigen Selbstdarstellung der Union mit einem demonstrativen Bekenntnis zu Schulkreuzen, wie es auch der Beschlusslage der CDU entspricht, oberflächlich gekittet. Ob es die schon seit Jahren sich immer mehr distanzierende Stammwählerschaft überzeugt, ist offen. Diese registriert ganz genau, wie CDU und CSU vom „C“ in ihrem Namen immer mehr abrücken. Und Aussagen wie jene von Özkan, dass das „C“ sie als Muslimin „nicht störe“, sind nur eine Bestätigung dessen, was überzeugte Christen in der Partei schon lange beklagen, nämlich dass das „C“ seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat. Zudem sind fast alle Stammwähler der Union entschieden gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Das weiß auch die CDU-Chefin Angela Merkel, die im Namen ihrer Partei eine „priviligierte Partnerschaft“ der Türkei mit der EU anstrebt, aber als Kanzlerin nicht offen gegen die EU-Beitrittsverhandlungen Stellung bezieht, sei es aus Rücksicht auf den Koalitionspartner FDP, sei es, weil konservative Wähler der CDU an der Wahlurne keine Alternative haben.

Die Union versucht also auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen und ist nun aus dem Takt gekommen, als Özkan religiöse Symbole wie das Kreuz, aber auch das Kopftuch aus den Schulen verbannen wollte. Viel mehr als das Kreuz in vor allem bayrischen Schulen als Beleg für das „C“ hat die Union nicht mehr zu bieten – und das weiß sie auch. Daher kamen sofort aus Berlin und allen Landeshauptstädten die Beteuerungen, dass es beim Kreuz bleibe, keiner wolle daran rütteln. „Wir stehen in einer jahrhundertelangen christlichen Tradition, Kreuze in den Schulen sind Ausdruck unserer Tradition und unseres Werteverständnisses“, versicherte die Bundesintegrationsministerin Maria Böhmer, die sofort Rückendeckung von Merkel erhielt.

Wulff hat sich seine von der „Geheimwaffe“ zur Sprengfalle mutierte Ministerin vor der endgültigen Ernennung nochmals zur Brust genommen, aber an ihr festgehalten, nachdem sie sich in Sachen Schulkreuze entschuldigt und ihren Ministereid mit den Worten „So wahr mir Gott helfe“ zu beschließen bereit gezeigt hatte − was allerdings für Muslime im Unterschied zu Atheisten auch kein Problem ist.

Überschwänglich feierten viele Medien die neue Vorzeigeministerin. Einige bezeichneten sie sogar als erste Ministerin mit Migrationshintergrund und hatten dabei wohl den in Vietnam geborenen Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler vergessen. Auch die Union feierte sich selbst, hatte sie doch alle anderen Parteien überholt und als erste eine bekennende Muslimin von der oft über Benachteiligung klagenden türkischstämmigen Zuwanderergruppe in ein Ministeramt berufen.

Benachteiligt? Hier wird übersehen, dass Özkan gerade wegen ihrer türkischen Wurzeln in ihr politisches Amt gekommen ist. Die Hamburger CDU war 2004 auf die damals als Nachwuchsmanagerin bei der Deutschen Telekom Tätige aufmerksam geworden. Dort erkannte man, dass sie wie eine seltene Orchidee zu pflegen sei, denn Frauen in leitenden Positionen in der Wirtschaft, die auch noch türkischstämmig sind, sind zweifellos eine Rarität. Mit einer so genannten „wild card“ gelangte sie bei der Wahl 2008 jenseits der Hierarchien der Kreis- und Ortsverbände auf einen sicheren Listenplatz. Und in der Hamburger Bürgerschaft machte Özkan dann als wirtschaftspolitische Sprecherin von sich reden.

„Für mich steht die CDU für Werte wie Familie, Gemeinschaft, Solidarität und Nächstenliebe. Wer einen Glauben hat, geht auch anders mit Mitmenschen um − das habe ich in der Partei gefunden.“ Diese Worte Özkans klingen wohltuend in den Ohren vieler CDU-Politiker. Und so begrüßt auch der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück (CSU), ihre Benennung zur Ministerin als „ein interessantes Signal in Richtung Integration“.

Und wenn sie türkischstämmigen und türkischen Bürgern in diesem Land die Leviten liest und eine Bringschuld bei der Integration anmahnt, dann bejubelt man in der Partei wieder den Schritt, Özkan − angeblich auf Initative von Merkel − berufen zu haben. Sätze wie „Gerade dann, wenn man fremd ist oder fremd aussieht, ist es wichtig, dass man den ersten Schritt macht. Wir schotten uns noch zu sehr ab“ klingen aus ihrem Mund überzeugender als aus dem eines ältlichen CSU-Politikers.

Trotz aller Integrationsrhethorik feierte die türkische Tageszeitung „Hürriyet“ sie unverblümt als „Unsere Ministerin“, andere feiern sie als „Türkin“. Wenn ihre Plädoyers für mehr Integration ernst gemeint sind, sollte Özkan hier auf Klarstellung dringen.      Rebecca Bellano


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