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01.05.10 / Staatsnotar im goldenen Käfig / Obwohl der Tenno kaum noch Einfluss hat, erleben die Japaner einen merkwürdigen Nachfolgekampf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-10 vom 01. Mai 2010

Staatsnotar im goldenen Käfig
Obwohl der Tenno kaum noch Einfluss hat, erleben die Japaner einen merkwürdigen Nachfolgekampf

Süß lächelt der dreijährige Hisahito immer öfter von Pressefotos. Doch was so unschuldig erscheint, ist in Wirklichkeit Kalkül von Prinz Akishino, um selbst eine Chance auf den Thron zu haben, zumal die neue Regierung die Tochter des Kronprinzen favorisiert.

Japans Monarchie gilt als Muster an Diskretion und Disziplin, die den kaiserlichen Nimbus der Herrschaft in der Moderne am besten zu bewahren versteht. Es gibt keine radelnden Könige nach skandinavischem Muster noch die Seifenopern, mit denen das Haus Windsor seit Jahrzehnten den Boulevard delektiert. Dennoch lässt sich das Zerwürfnis zwischen dem Kronprinz Naruhito und seinem Bruder nicht länger verheimlichen. Es geht um die Thronfolge ihrer Kinder. Der Kronprinz bekam nach langer kinderloser Ehe mit seiner Frau eine Tochter. Prinzessin Aiko ist heute neun Jahre alt. Sie ist nach dem Kaiserlichen Statut von 1947 von der Thronfolge ausgeschlossen, obwohl es in Japans mythischer Kaisergeschichte während der letzten 2600 Jahre mindestens acht Kaiserinnen gegeben haben soll. Sein Bruder Akishino dagegen zeugte nach den Prinzessinnen Mako (18) und Kako (15) noch einen Sohn, Prinz Hisahito (3), auf dessen Linie nunmehr nach dem Tod des Kronprinzen die Thronfolge überspringt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Kronprinz gerne per Gesetz die Gleichberechtigung zugunsten seiner Tochter durchgesetzt hätte. Schon seit ihrer Geburt suchte er gegen den Widerstand seines Vaters Kaiser Akihito diskret den Kontakt zu Politikern. Traditionalisten war der Gedanke einer weiblichen Erbfolge ein Gräuel. Mit der Geburt von Prinz Hisahito, dessen niedliche Videofilme das Publikum erfreuen, war die Diskussion vorläufig beendet. Doch mit der neuen Reformregierung von Yukio Hatoyama, der die weibliche Erbfolge stets befürwortet hat, sieht der Kronprinz seine Chancen wieder steigen. Doch welche Funktion hat der Kaiser in Japan überhaupt?

In der Meiji-Verfassung von 1889 war er zumindest theoretisch Inhaber der obersten Regierungsgewalt, dem die Minister verantwortlich waren, des militärischen Oberbefehls und der obersten Kultgewalt im Staatsshinto gewesen. Im Meiji-Staat (1868–1912) wurde der Kaiser nach den Verfassungstexten mit absoluter Macht ausgestattet, die ihn über die Exekutive, das Parlament und die Judikatur stellte. Mit umfangreichen Ländereien, Wäldern, Aktien- und Wertpapierpaketen (die 1945 alle von den Amerikanern enteignet wurden) operierte der Hofstaat wie ein Staat im Staate. Doch in der Praxis handelte schon der Meiji-Kaiser als konstitutioneller Monarch, der sich bürokratischen Ritualen fügte, ausländische Gesandte und führende Regierungsvertreter zum Vortrag empfing und dabei an die Verfassung und die gültigen Rechtsnormen gebunden war. So wurden kaiserliche Edikte erst nach der Gegenzeichnung durch den Fachminister beziehungsweise Premierminister gültig. Je unbeschränkter die theoretische Macht und der überhöhte Status des Kaisers war, der das Oberhaupt der japanischen Shinto-Religion ist, desto geringer gestaltete sich seine reale Einflussmacht und Durchsetzungsfähigkeit, da Meinungsäußerungen und das Erfragen konkreter Details von jener irdischen Gottheit nicht erwartet wurden. So wurden beispielsweise während des Zweiten Weltkriegs dem Kaiser Operationspläne erst mitgeteilt, nachdem der Generalstab alle Details geklärt hatte.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde dem Tenno, dem aufgrund amerikanischer taktischer Kalküle – der Erleichterung der Besatzungspolitik – gegen die Widerstände anderer Alliierter ein Kriegsverbrecherprozess erspart blieb, zunächst die Rolle eines Volkskaisers zugedacht, nachdem General MacArthur sein Abdankungsangebot abgelehnt hatte. Bis 1954 besuchte der Kaiser alle Präfekturen, besichtigte Flüchtlingslager, Kohlegruben auf Kyushu, zerstörte Städte und wiederaufgebaute Fabriken und durfte dabei auch menschliche Regungen zeigen. Später engte die Kaiserliche Hof-agentur seine Rolle wieder aufs Zeremonielle ein. Die streng apolitische Rolle des Kaisers hat in der Nachkriegszeit seine Rolle und sein Ansehen angesichts seiner  Distanz zur korrupten und intriganten Tagespolitik deutlich gestärkt. Im Presseklub des Amtes sind deshalb auch keine Reporter und Journalisten zugelassen.

Formell ernennt der Kaiser den Premierminister und den Vorsitzenden des Obersten Gerichts. Er eröffnet und beschließt die Sitzungsperioden des Parlaments, unterzeichnet Gesetze und Erlasse, ruft die Wahlen aus, ernennt und entlässt die Minister, unterzeichnet Staatsverträge, verkündet Amnestien, verteilt die höchsten Staatsorden und empfängt ausländische Botschafter bei ihrer Akkreditierung. Jene Aufgaben eines Staatsnotars, die stets auf Kabinettsbeschlüssen beruhen und zu denen er weder einen Ermessensspielraum noch ein Meinungsäußerungsrecht hat, füllen seine Vormittage aus. Die Nachmittage stehen für die wissenschaftliche Arbeit zur Verfügung. So hatte Hirohito (1901–1989) Bücher über Seesterne und Meeresspinnen veröffentlicht. Auch sein Sohn Akihito (*1933) ist Marinebiologe, nachdem seine historischen Interessen als zu politisch missbilligt wurden. Kronprinz Naruhito (*1960) befasst sich mit mittelalterlichen Wasserwegen in Europa.

Geblieben sind für den Kaiser religiöse Shinto-Zeremonien, wie die frühjährliche Auspflanzung der Reisschößlinge. Dazu kommen Repräsentationsbesuche bei wichtigen Terminen, Eröffnungen und öffentliche Symbolhandlungen. All diese Besuche sind minutiös vorbereitet. Sie sind deshalb, wie dieser Autor bezeugen kann, steif und inhaltlich unergiebig.

1200 Bedienstete regeln den Tagesablauf der rund 20 Mitglieder der kaiserlichen Familie im Detail. Freiheiten, wie etwa auf der Ginza einkaufen zu gehen, sind nicht vorgesehen. Besucher und Lektüren werden von den Kämmerern ausgewählt. Gerade für die aus großbürgerlichen Familien stammende Kaiserin Michiko und Kronprinzessin Masako, die in den USA aufgewachsene Harvard-Absolventin, Jungdiplomatin und Tochter des Ex-Botschafters und Vizeaußenministers Owada, lösten die Zwänge der Gefangenschaft im goldenen Käfig Depressionen aus.

Warum man wie der Kronprinz und sein Bruder seinen Kindern dieses einsame höchste Amt mit aller Macht zumuten will, bleibt für die meisten Japaner schwer nachvollziehbar.     Albrecht Rothacher


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