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08.05.10 / Vergiftete Atmosphäre / Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Schäuble sind sich nur noch selten einig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-10 vom 08. Mai 2010

Vergiftete Atmosphäre
Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Schäuble sind sich nur noch selten einig

Zwischen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble scheint die Chemie nicht mehr zu stimmen. Blickt man zurück, fragt man sich: Hat sie jemals gestimmt?

Erst wollte sie nicht, während er nicht abgeneigt war. Dann wollte sie, und zwar so schnell wie möglich, da kamen ihm Bedenken. In der Frage, ob und wenn ja, wie man Griechenland helfen solle, zogen die Kanzlerin und ihr Finanzminister zwar stets am selben Strang, aber nicht immer in die gleiche Richtung.

Noch am Abend nach der Kabinettssitzung, in der das 110-Milliarden-Euro-Hilfspaket verabschiedet wurde, nutzte die Kanzlerin die ZDF-Sondersendung „Was nun, Frau Merkel?“, um den in dieser Sache wichtigsten Ressortschef zur Randfigur zu degradieren. Fröhlich parlierte sie darüber, warum sie von Anfang an den Internationalen Währungsfonds (IWF) ins Boot holen wollte, ohne auch nur mit einem Wort die – in der Sache durchaus berechtigten – Einwände Schäubles zu erwähnen. Der Finanzminister hatte davor gewarnt, durch die Hintertür des US-dominierten IWF der US-Regierung Einflussmöglichkeiten auf die Geldpolitik der Länder der Euro-Zone zu eröffnen. Merkel hingegen stellte in den Vordergrund, dass der IWF unbestreitbar über größte Erfahrung in der Handhabung von Krisen und in der Disziplinierung anfälliger Regierungen verfüge – was nicht gerade als Kompliment für die Qualität der eigenen Finanzexperten zu verstehen ist.

Misstöne gab es auch, als Schäuble einen eigenen Krisenfonds der Euro-Zone ins Leben rufen wollte, als Gegengewicht gegen den IWF. Ohne sich zuvor der Rückendeckung durch Kanzleramt oder Unionsfraktion zu vergewissern, ließ der Minister mehrere Vorlagen ausarbeiten.

Der von ihm angeregte Europäische Währungsfonds sollte ein Volumen von 200 Milliarden Euro haben. Als durch Recherchen von „Spiegel-Online“ herauskam, dass Deutschland allein etwa 50 Milliarden schultern müsste, wurde Schäuble von Merkel zurückgepfiffen. Der konterte, indem er seinen Beamten einen Maulkorb verordnete: Zwischen Ministerium und Kanzleramt sollte nur noch auf allerhöchster Ebene gesprochen werden. Auch wenn der ungewöhnliche Vorgang, nachdem er publik geworden war, als „Maßnahme zur Sicherung der Ressortzuständigkeit“ verharmlost wurde – herzliches Einvernehmen zwischen Parteifreunden stellt man sich eigentlich etwas anders vor.

Die in den letzten Wochen zutage getretenen Spannungen haben eine lange Vorgeschichte. Im Frühsommer 1998, in der Endphase der Kanzlerschaft Helmut Kohls, gab es einen bemerkenswerten gemeinsamen Auftritt: Im Herkulessaal der Münchner Residenz erhielt Wolfgang Schäuble, damals Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den Konrad-Adenauer-Freiheitspreis der Deutschland-Stiftung. Seine Laudatorin: Angela Merkel, damals Bundesumweltministerin.

Schäuble galt damals als „Kronprinz“; ihn und Merkel verband die nur durch Parteidisziplin zurückgehaltene große Enttäuschung über Kohls abermalige (und diesmal erfolg­lose) Kanzlerkandidatur.

Im November 1998, nach dem schlechtesten CDU-Bundestagswahlergebnis seit 1949, wurden Schäuble Parteichef und Merkel Generalsekretärin. Ein Jahr später brach die Spendenaffäre über die CDU herein. Am 22. Dezember 1999 forderte Merkel in einem „FAZ“-Beitrag, die Partei müsse sich vom System Kohl verabschieden und „ihre eigenen Wege“ gehen – gemeint war damit ihr Weg.

Als erster bekam das Parteichef Schäuble zu spüren. Am 16. Februar 2000 trat er zurück, am 10. April wurde Merkel zur neuen Parteivorsitzenden gekürt. Viele hielten sie anfangs für eine bloße Übergangslösung. Die Partei lag in tiefer Depression darnieder. Die nach Schäubles unrühmlichem Abgang verbliebenen potenziellen „Kronprinzen“, also die Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen) und Roland Koch (Hessen), blieben vorsichtshalber noch in Deckung. Also sollte Merkel, längst nicht mehr „Kohls Mädchen“, den Augiasstall ausmisten und das Terrain für den eigentlichen Nachfolger ebnen, wer immer das sein könnte.

Bald zeigte sich, dass da einige die Rechnung ohne die Wirtin gemacht hatten. Die neue Parteichefin räumte rigoros auf, amputierte die Reste des konservativen Parteiflügels (Fried-rich Merz, Martin Hohmann), ließ den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat in eine Niederlage laufen (jetzt schon selber anzutreten, war ihr zu riskant).

Als Kanzlerin der Großen Koalition brachte sie die CDU vollends auf ihren Kurs, den sie selbst mit „Mitte“ umschreibt, Kritiker hingegen als eher sozialdemokratisch oder gar „DDR-light auf Euro-Basis“ empfinden. Schäuble wurde von ihr als Innenminister reaktiviert, wohl auch, um Stammwähler bei der Stange zu halten.

Dem 67-jährigen gebürtigen Freiburger wurde in den letzten Wochen Amtsmüdigkeit wegen gesundheitlicher Probleme nachgesagt. In der Tat ist er seit einem Attentat vor 20 Jahren gelähmt. Die enormen, für einen gesunden Menschen kaum vorstellbaren Belastungen, die ein Leben im Rollstuhl dem Betroffenen auferlegt, haben Schäuble die Ausübung hoher politischer Ämter schwer, aber nie unmöglich gemacht. So hat er für behinderte Menschen in Deutschland ein wichtiges Signal gesetzt. Dafür muss man ihm höchsten Respekt zollen, auch wenn man nicht allen seinen politischen Positionen zustimmt. Vielleicht ist es ja dieser Respekt, der Merkel trotz mancherlei Differenzen weiter mit ihm zusammenarbeiten lässt – immerhin führt die Partei, der beide dienen, ja immer noch das C im Namen.         Hans-Jürgen Mahlitz


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