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08.05.10 / Die Jagd der Busse / Fragwürdige Reform des Öffentlichen Personennahverkehrs

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-10 vom 08. Mai 2010

Die Jagd der Busse
Fragwürdige Reform des Öffentlichen Personennahverkehrs

In Königsberg wurde das System des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) von Grund auf verändert. Nicht nur Routen, sondern auch sämtliche Nummern wurden neu geordnet. Bei den Fahrgästen ist Verwirrung entstanden, auch die Sicherheit steht auf dem Spiel.

Ein Großteil des ÖPNV wird von Privatunternehmen besorgt. Lediglich Straßenbahnen, Trolleybusse und einige Buslinien werden von der Stadt unterhalten. Seit geraumer Zeit verdrängen Busse und Großraumtaxen (Kleinbusse mit 12 bis 14 Sitzplätzen) diese ökologischeren Verkehrsmittel.

Im Februar hat die Stadt zuletzt eine Lizenz für die Fahrgastbeförderung ausgeschrieben. Dabei ging es ausschließlich um Bus-Lizenzen. Eine Kommission aus Abgeordneten des Kreisrats und Sachverständigen der Stadtverwaltung besuchte zuvor die teilnehmenden Firmen. Als Auswahlkriterium zählten neben Erfahrung bei der Personenbeförderung das Alter der Fahrzeuge, ihre Schadstoffklasse sowie die Möglichkeit, auch Gehbehinderte zu befördern.

Normalerweise wird das Ergebnis einer solchen Ausschreibung kaum beachtet, aber diesmal wurden die Routen der öffentlichen Verkehrsmittel komplett verändert. Die Änderung der Nummerierung führte bei den meisten Passagieren zu Verwirrung.

Die Stadtverwaltung hatte nämlich beschlossen, alle städtischen Linien, auf der die großen Busse zum Einsatz kommen, von 1 bis 60 durchzunummerieren, während alle Großraumtaxen die Nummern 61 bis 99 erhielten. Die meisten Großraumtaxen kommen in den Außenbezirken zum Einsatz, doch ihre Anzahl wurde nun um ein Drittel gekürzt. Damit die Fahrgäste sich besser orientieren können, haben die Fahrer neben der neuen noch die alte Nummer auf einem gelben Schild auf ihr Fahrzeug geklebt.

Der Verband der Fuhrunternehmer hatte der neuen Form des Streckennetzes zugestimmt. Bei einer Umfrage zu dieser Änderung zeigte sich jedoch, dass viele überhaupt nicht verstehen, wozu die Routen geändert wurden. Deshalb war die Meinung unter den Befragten sehr geteilt.

Bei vielen Buslinien wurde nicht nur die Route überprüft, sondern auch ihre Intervalle. Dadurch wurde auf jeder Route auch die Anzahl der Busse verändert. So kann es sein, dass man auf Strecken, bei denen man vorher auf einer Linie durchfahren konnte, einmal umsteigen muss. Beim derzeitigen System, bei dem jede Fahrt zehn Rubel kostet, ganz gleich, wie weit man fährt, bedeutet dies, dass der Fahrgast zweimal zahlen muss.

Königsbergs Verwaltungschef Felix Lapin war mit dem neuen Konzept so unzufrieden, dass er die Verantwortlichen anwies, innerhalb von zwei Wochen ein neues vorzulegen. Die städtischen Beamten stiegen von ihren Dienstfahrzeugen auf öffentliche Verkehrsmittel um, damit sie sich selbst ein Bild von der Funktionalität des neuen Systems machen konnten und um gleichzeitig Änderungsmöglichkeiten herauszufinden.

Nicht nur Bürger kritisieren das neue Routensystem, sondern auch das Amt für Verkehrssicherheit hat Fragen an die privaten Busunternehmen. Sie fanden Gefahrenpunkte, die zu mehr Unfällen führen könnten. Einer davon betraf die Geschwindigkeit. Vor Einführung der neuen Routen betrug diese durchschnittlich zwischen 14 und 15 Stundenkilometer, nun liegt sie bei 18. Die Geschwindigkeitsbegrenzung gilt nicht nur für die Großraumtaxen und führt seit vielen Jahren zu Reibereien zwischen Busfahrern und Passagieren, die sich verspäten. Das ist kein Wunder, denn viel Zeit verstreicht deshalb, weil die Fahrer an den Haltestellen oft minutenlang warten, um möglichst viele Fahrgäste aufzunehmen, um eine vorgeschriebene Norm zu erfüllen. Manchmal erinnern öffentliche Busse an Besichtigungsbusse für Touristen, die langsam an den Sehenswürdigkeiten vorbeischleichen. Doch es gibt auch das Gegenteil, wenn Fahrer plötzlich Gas geben, um noch bei Gelb über die Ampel zu kommen oder sich eine Jagd um einen freien Platz an einer großen Haltestelle liefern. Dann missachten sie oft alle Regeln der Personenbeförderung und die Fahrgäste müssen sich gut festhalten, um sich nicht zu verletzen. Solche seltsamen Vorschriften im ÖPNV gibt es in keiner anderen Stadt der Russischen Föderation.

Die heraufgesetzte Durchschnittsgeschwindigkeit führt dazu, dass die Fahrer entweder ihr Tempo erhöhen müssen oder dass sie die Endhaltestellen erst gar nicht mehr anfahren, um den Fahrplan einzuhalten. Das ist nach Meinung der Verkehrssicherheitsbehörde einer der größten Mängel des derzeitigen Systems, weil es die „Jagd“ der Busse erst ermöglicht. Das könnte neben der Undiszipliniertheit der Fahrer und der geringen Qualität der Fahrzeuge zu einem Anstieg der Verkehrsunfälle führen, deren Zahl schon jetzt sehr hoch ist. Allein in den ersten zweieinhalb Monaten dieses Jahres ereigneten sich 61 Unfälle unter Beteiligung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Bei einer technischen Überprüfung der Passagierbusse in Königsberg wurde festgestellt, dass fast die Hälfte der Busse Mängel aufwies. Bei einem Großteil der Busse war – unglaublich, aber wahr – die Lenkung oder das Bremssystem defekt. Andere entsprachen nicht der Abgasnorm.  Jurij Tschernyschew


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