29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.05.10 / Der Krieg aus dem Radio / Eine Lyckerin erinnert sich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-10 vom 08. Mai 2010

Der Krieg aus dem Radio
Eine Lyckerin erinnert sich

Wir schauen im Internet nach den Bestsellern von morgen, wir versuchen aus der „Financial Times Deutschland“ die zukünftigen Börsenkurse herauszulesen, wir lesen in Fachzeitschriften, dass die Menschen in 20 Jahren vielleicht schon auf den Mars fliegen können und Aids heilbar sein wird … morgen. Aber was ist eigentlich heute und, was sicher ebenso wichtig ist, was war gestern und vorgestern und davor?

Immer seltener nehmen sich die Menschen heutzutage noch die Zeit und die Muße, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, dabei können sie doch daraus für die Zukunft lernen. So auch von den ganz privaten Erfahrungen von Elisabeth Polten, die nach dem Tode einer ihrer Schwestern in deren Haus einen alten Koffer fand, der voll mit bis zu 60 Jahre alten Briefen und Dokumenten war. So begann sie, sich eingehend mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, und fasste den Entschluss, ein Buch zu schreiben. In „Ein Lycker Marjellchen erzählt“ berichtet sie von ihren Eltern, ihrer Kindheit in Lyck, einem Landkreis in Ostpreußen, wie sie den Zweiten Weltkrieg erlebte, der Flucht aus der Heimat und wie das Leben danach für sie und ihre Familie weiterging.

Sehr idyllisch sind Elisabeth Poltens Erinnerungen an ihre Kindheit, das Zusammenleben mit ihren vier Schwestern und den liebevoll für sie sorgenden Eltern. Fast ein Drittel des Buches ist diesen schönen Erinnerungen gewidmet. Doch dann: „Inzwischen gingen die Repressalien gegen Nichtarier weiter. Parteigenossen in Zivil stellten sich nah an die Türen der Geschäfte und schrieben die Kunden auf, die noch dort einkauften.“ Und selbst für die Kinder in der Schule waren die Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden plötzlich spürbar. „Es dauerte nicht lange, als man allen jüdischen angehenden Abiturienten mitteilte, dass sie nicht zum Abitur zugelassen werden.“

Als der Zweite Weltkrieg bereits in vollem Gange sowie Lebensmittel und Kleidung langsam zur Neige gingen, konnten auch die Lycker das Grauen von Stalingrad über den Volksempfänger verfolgen. „Im Herbst 1942 saßen wir jeden Tag im Herrenzimmer und hörten angstvoll Nachrichten. Es ging um Kämpfe bei Stalingrad. Hier konnte nichts mehr vertuscht werden. Unsere Soldaten wurden eingekesselt. Der Zusammenbruch der deutschen Wehrmacht an der Ostfront konnte nicht mehr aufgehalten werden. Wir saßen da wie erstarrt. Wir dachten an unsere frierenden tapferen Soldaten, die auf Hitlers Befehl nicht aufgeben durften …“ Was damals in den Menschen an ihren Radiogeräten vorgegangen sein mag, können wir heute kaum mehr nachvollziehen. Angst, das Gefühl von Machtlosigkeit, hilflos dem Kommenden ausgeliefert zu sein.

Die Aufforderung, die Heimat zu verlassen, um vor den Russen nach Westen zu fliehen, erging  erst Anfang 1945. Noch am gleichen Tag flohen Elisabeth Polten und ihre Familie und gelangten schließlich nach vielen Tagen über Lübeck in ein Flüchtlingslager in Dänemark. Nach zwei Jahren im Flüchtlingslager Oksböl fand die Familie endlich in der Stadt Singen am Hohentwiel ein neues Zuhause.

Das Beispiel von Elisabeth Polten zeigt, dass man auch Glück im Unglück haben kann, wenn man sich stets bemüht, sein Bestes tut, zusammenhält und die Hoffnung nie aufgibt.      A. Ney

Elisabeth Polten: „Ein Lycker Marjellchen erzählt“, Verlag Broschat, Frankfurt am Main, gebunden, 309 Seiten, 25,95 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren