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15.05.10 / Raus aus der Energiesackgasse / 50 Jahre Kernfusions-Forschung: Neuer Weg zur Energiegewinnung oder vergeudete Liebesmüh?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-10 vom 15. Mai 2010

Raus aus der Energiesackgasse
50 Jahre Kernfusions-Forschung: Neuer Weg zur Energiegewinnung oder vergeudete Liebesmüh?

Die Grünen und „Die Linke“ verlangen von der Regierung, dass sie den Vertrag zum Bau des Kernfusionsreaktors ITER kündigt und die hierfür vorgesehenen Mittel auf die Erforschung Erneuerbarer Energien überträgt. Professor Dr. Günter Hasinger erklärt PAZ-Redakteurin Rebecca Bellano, warum er die Kernfusion als eine Energiequelle der Zukunft sieht.

PAZ: Seit 2008 sind Sie am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik für die Fusionsforschung zuständig. Welche Potenziale sehen Sie in der Fusionsforschung?

Günter Hasinger: Die Energie- und Klimaproblematik ist eine gigantische Herausforderung für die ganze Welt. Ich bin überzeugt, dass nur durch die vereinte Kraft zur Erschließung neuer Technologien für Energieumwandlungsprozesse, Effizienzsteigerungen und Speichermöglichkeiten das Problem bewältigt werden kann. Die Entwicklung der Fusion zur Energiequelle ist eine dieser Möglichkeiten und ich freue mich, ein bisschen bei der „Rettung der Welt“ mithelfen zu können.

PAZ: Wie dürfte sich der Strombedarf weltweit entwickeln?

Hasinger: Durch das Bevölkerungswachstum und die Industrialisierung in den heutigen Entwicklungsländern wird sich der weltweite Strombedarf in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch einmal verdoppeln, gleichzeitig aber viele der heute existierenden Potenziale ausgereizt sein. Wenn es gelingt, die Fusion bis Mitte des Jahrhunderts als neue Energiequelle zu entwickeln, kann sie bis zum Ende des Jahrhunderts etwa 30 Prozent des weltweit wachsenden Strombedarfes decken. 

PAZ: Was unterscheidet die von Ihnen favorisierte Form der Energiegewinnung von der aktuellen Nutzung der Kernkraft hinsichtlich Gefährlichkeit, Radioaktivität und Endlagerproblematik?

Hasinger: Ein Fusionskraftwerk ist inhärent sicher, das heißt, es kann seine Umgebung nicht durch selbst erzeugte Prozesse gefährden. Zu jedem Zeitpunkt sind nur wenige Gramm Brennstoff in der Kammer vorhanden und wenn etwas schief läuft, geht die Flamme einfach aus. Das radioaktive Wasserstoff-Isotop Tritium, das im Plasmagefäß mit dem Wasserstoff-Isotop Deuterium verschmilzt, wird in einem internen Kreislauf aus dem Element Lithium „erbrütet“ und bleibt deshalb im Kraftwerk. Bei einer Einwirkung von außen (Erdbeben, Flugzeugabsturz oder Bombenanschlag) entweicht das Tritium und verstrahlt im schlimmsten Fall eine Fläche von der Größe des Reaktorgrundstücks. Eine Evakuierung der Bevölkerung wäre nicht notwendig. Eine Schwierigkeit stellen die bei der Fusionsreaktion entstehenden schnellen Neutronen dar, die mit großer Energie in die umgebende Wand eindringen und diese auf die Dauer verspröden und im Material radioaktive Spaltprodukte erzeugen. Durch geeignete Wahl der Materialien kann man erreichen, dass die Wand einerseits dem Neutronenbeschuss lange standhält, andererseits die Abklingzeit der erzeugten Radioaktivität kurz ist, so dass man bereits nach etwas 100 Jahren das verstrahlte Material teils für neue Kraftwerke wiederverwenden, teils freigeben kann. Ein geologisches Endlager für die radioaktiven Abfälle ist deshalb nicht notwendig. Man darf natürlich die Gefahren der Radioaktivität nicht unterschätzen, aber im Gegensatz zu heutigen Spalt-Kraftwerken sind die Risiken noch deutlich geringer.

PAZ: Seit einem halben Jahrhundert wird an der Kernfusion geforscht. Warum ist diese Technik immer noch so weit von der praktischen Nutzung entfernt?

Hasinger: Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag. In der Euphorie der Anfangszeit war man tatsächlich viel optimistischer. In diesen Dekaden musste die weltweite Gemeinschaft der Fusionsforscher lernen, dass sich das heiße, in Magnetfeldkäfigen eingeschlossene Plasma wesentlich komplexer verhält, als ursprünglich angenommen. Insbesondere verliert es seine Energie durch Turbulenz und Konvektion viel schneller als mit der ursprünglich vermuteten reinen Strahlungskühlung. Das ist so ähnlich wie das Öffnen der Fenster in einem geheizten Raum – hier wird es schneller kalt. Fazit ist, dass heutige Fusionskraftwerke deutlich größer und damit teurer werden müssen, als in den Anfangsjahren der Forschung erwartet. Je teurer etwas wird, desto länger dauert es auch. Allerdings gab es auch dramatische Fortschritte. Der für die Energieerzeugung in einem Fusionsexperiment zuständige Parameter – das sogenannte Tripelprodukt der Fusion – hat sich in den letzten Jahrzehnten um mehr als den Faktor 100000 verbessert und ist damit schneller gewachsen als das „Moore’sche Gesetz“ der Computer. Wir sind heute nur noch einen Schritt von der Verwirklichung eines Energie erzeugenden Plasmas entfernt. Den Weltrekord hält das Tokamak-Experiment JET in England, das für sehr kurze Zeit fast genau so viel Energie durch Fusion erzeugt hat, wie zur Aufheizung des Plasmas [auf 200 Millionen Grad] verwendet wurde. Das derzeit in Cadarache in Südfrankreich entstehende Experiment ITER, der letzte Schritt auf dem Weg zu einem Demonstrationskraftwerk, soll bereits zehn Mal mehr Fusionsenergie erzeugen, als für die Heizung aufgewendet wird, und das über jeweils fünf Minuten.

PAZ: Sie beklagen, dass die Bundesregierung derzeit jährlich nur 135 Millionen Euro in die Fusionsforschung investiert. Gleichzeitig subventioniert sie mit Milliarden die Nutzung von Erneuerbarer Energien. Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass die Politik die Fusionsforschung so stiefmütterlich behandelt?

Hasinger: Ich beklage mich keineswegs, sondern ich bin der Bundesregierung und den beteiligten Bundesländern sehr dankbar, dass sie die Fusionsforschung seit vielen Jahren mit erheblichen Summen fördern und Deutschland damit eine führende Rolle im weltweiten Wettbewerb einnehmen konnte. Allerdings ist jetzt Eile geboten. Wenn wir das Versprechen einlösen wollen, die Fusion bis etwa Mitte des Jahrhunderts zur Energiequelle zu machen, müssen wir die Entwicklung deutlich anschieben. Das gilt übrigens ebenfalls für andere Bereiche der Energieforschung, die noch in der Erarbeitung der Grundlagen stecken, zum Beispiel bei den Energiespeichern. Leider gibt es ein krasses Missverhältnis zwischen den Mitteln, die in Deutschland für die Markt-Einführung beziehungsweise Markt-Erhaltung von Energietechnologien aufgebracht werden (wie die Einspeisungsabgaben für Erneuerbare Energien oder die Kohlesubventionen), und den Mitteln für die Erforschung und Entwicklung neuer Technologien.


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