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15.05.10 / Diffamiert als Quacksalber / Porträt des Franz Mesmer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-10 vom 15. Mai 2010

Diffamiert als Quacksalber
Porträt des Franz Mesmer

Eine der bekanntesten und umstrittensten Persönlichkeiten des späten 18. Jahrhunderts war der aus Iznang am Bodensee stammende studierte Mediziner und Magnetiseur Franz Anton Mesmer (1743–1815). Jahrzehntelang versuchte er konsequent, die Wirksamkeit eines von ihm selbst postulierten „thierischen Magnetismus“ durch praktische Anwendung an seinen Patienten empirisch zu belegen. Vor allem chronisch Kranke mit rätselhafter Symptomatik suchten bei ihm Hilfe. In ihrem ersten Roman hat sich die Malerin und Schriftstellerin Alissa Walser, eine Tochter von Martin Walser, mit dem Phänomen Mesmer befasst.

Sie ging auf der Halbinsel Höri im Bodensee zur Schule, dort, wo Mesmer aufwuchs. Zu seiner Zeit, in der Epoche der Aufklärung, hatten nach wie vor Quacksalber, aber auch Okkultisten großen Zulauf. So erhielt Mesmer in Wien die Chance, seine These zu beweisen, dass Anziehungskräfte der Planeten das menschliche Nervensystem beeinflussen und Heilung bewirken können. 1775 hatte der frisch Promovierte ein Hospital in seinem Wiener Wohnhaus eröffnet, doch schon 1777 musste er die Stadt wieder verlassen: Der zunächst erfolgreiche und letztlich doch fehlgeschlagene Versuch, die stadtbekannte junge Pianistin Maria Theresia Paradis zu heilen, die im Alter von drei Jahren erblindet war, führte zu Mesmers Diskreditierung in der Hauptstadt des Alten Reichs. In Paris versuchte er daraufhin einen Neuanfang.

Der Titel von Walsers Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“ spielt auf diesen Fall an, der ihrem Buch zugrunde liegt: Dunkel ist es im Behandlungsraum des Hospitals, wo die Patienten um einen mit Wasser gefüllten Zuber sitzen und sich mit einem stabförmigen Magneten die einzelnen Körperteile bestreichen, während der Violinist Riedinger – der auch im weiteren Verlauf der Handlung eine Rolle spielt – das erwünschte „Fluidum“ musikalisch unterstützt; und dunkel ist es für die blinde Künstlerin auch deshalb, weil sie unter der Gängelei ihrer dünkelhaften Eltern zu leiden hat. Und schließlich verweist der Titel auch auf den jungen Mozart.   

Mehreren Autoren diente Mesmers-Biographie sowie speziell die Wiener Episode bereits als Stoff für einen historischen Roman. Man muss aber wissen, dass es sich in diesem Fall um ein atypisches Werk dieser Art handelt. Es ging Alissa Walser darum, die Mentalität der Romanfiguren auszuloten, die entscheidend von den Personen ihres Umfelds und den zeittypischen Gegebenheiten geprägt sind. Das gelingt ihr ausgezeichnet. Sie bedient sich einer kargen Sprache, doch gerade dadurch wird der Blick auf die Protagonisten geschärft. Mesmer stellt sie als einen Kenner der menschlichen Psyche dar, der von der Kraft des Unbewussten aber noch wenig weiß. Suggestion trägt offenbar viel zu seinen erstaunlichen Heilerfolgen bei. Der Therapeut, der durch die Heilung der kleinen Paradis zu Ansehen bei der Kaiserin Maria Theresia gelangen möchte, erkennt, dass das junge Mädchen durch ein Erlebnis traumatisiert wurde und anatomisch gesund ist. Mesmer bringt sie auch kurzzeitig zum Sehen, doch zum Verdruss ihrer Eltern ist damit der Verlust ihrer Virtuosität verbunden und es kommt zu tragischen Ereignissen. Dagmar Jestrzemski

Alissa Walser: „Am Anfang war die Nacht Musik“, Piper, München 2010, geb., 253 Seiten, 19,95 Euro


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