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22.05.10 / Nach dem Debakel: Jeder gegen jeden / In der Union wird nur noch gestritten – über Bildung, Kita, Atomkraft und Finanztransaktionssteuer 

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-10 vom 22. Mai 2010

Nach dem Debakel: Jeder gegen jeden
In der Union wird nur noch gestritten – über Bildung, Kita, Atomkraft und Finanztransaktionssteuer 

Der Schock sitzt tief nach der NRW-Wahl: In Berlin wird mehr gestritten als regiert, und CDU-Chefin Angela Merkel muss feststellen, dass sie auch unter Parteifreunden keineswegs so unumstritten ist, wie sie selber wähnte.

Ein Warnschuss sei es gewesen, das Wahldebakel von Düsseldorf, räumte ein sichtlich zerknirschter Guido Westerwelle ein. Das mag für den liberalen Part des schwarz-gelben Regierungsbündnisses in Berlin zutreffen. Beim Seniorpartner CDU/CSU hingegen sieht es zwei Wochen danach eher so aus, als sei der vermeintliche „Schuss vor den Bug“ ein kapitaler Volltreffer gewesen – die Union beschwört Einigkeit und gibt sich zugleich total zerstritten.

Bittere Konsequenz: Die kühnen Reformprojekte, mit deren Ankündigung Merkel und Westerwelle im vergangenen Herbst die Bundestagswahl gewonnen hatten, drohen nun endgültig auf der Strecke zu bleiben. Es rächt sich, dass die Berliner Koalitionäre glaubten, erst nach der Landtagswahl im bevölkerungs- und wählerstimmenstärksten Bundesland dürfe man mit dem Regieren beginnen. Das Ergebnis aber zeigte: Angst vor dem eigenen Volk zahlt sich am Ende doch nicht aus.

Beispielhaft ist der aktuelle Streit um eine Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke. Vor der Bundestagswahl hatten Union und FDP hinreichend klar gemacht, dass sie auf diesem Weg den behutsamen Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg einleiten wollten. Sie haben gewusst, dass es nicht einfach werden würde, dafür öffentliche Akzeptanz zu erlangen. Aber sie haben – auch mit diesem heiklen Punkt im Wahlprogramm – eine Mehrheit bekommen.

Statt aber sofort nach der Regierungsbildung das Projekt umzusetzen, bevor die Opposition medialen und außerparlamentarischen Widerstand organisieren konnte, berief die alte und neue Kanzlerin einen ihrer Getreuen ins Amt des Umweltministers, den vor allem der Ehrgeiz plagt, die Grünen möglichst links und rechts gleichzeitig zu überholen.

Nun aber ist die Mehrheit im Bundesrat futsch. SPD, Grüne und Linke setzen darauf, dass Laufzeitverlängerungen nicht ohne die Länderkammer beschlossen werden können, und CDU-Minister Norbert Röttgen bestärkt sie in dieser Haltung.

Freilich ist seine (und Merkels) Position seit dem 9. Mai so geschwächt, dass innerparteilicher Widerstand sich nicht länger an den Rand drücken ließ. Zum Wortführer machte sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus. Er sei „nicht mehr bereit, die Eskapaden des Bundesumweltministers zu akzeptieren“, zürnte der Stuttgarter Regierungschef und forderte die Kanzlerin auf, sie solle Röttgen „zurückpfeifen“. Denn „Politik ist ein Mannschaftsspiel, und wer Individualsport bevorzugt, muss sich ein anderes Tätigkeitsfeld suchen“. In Berlin wurde dieser Satz, dessen Tonlage für Merkel ungewohnt ist, als kaum noch verhüllte Rücktritts- beziehungsweise Entlassungsforderung verstanden.

Ebenso unmissverständlich die Kritik an Merkel selbst: Sie müsse nun Führungsstärke zeigen, mahnt Mappus und sagt damit indirekt, woran es seiner Parteichefin bislang mangelt.

Immerhin hatte Kanzleramts­minister Ronald Pofalla, der wie Röttgen als Sprachrohr Merkels gilt, gerade erst angekündigt, man arbeite an einem „verfassungskonformen zustimmungsfreien Gesetz“ für die Laufzeitverlängerung. Röttgen hingegen beruft sich auf Koalitionsvertrag und Grundgesetz und leitet daraus Zustimmungspflicht im Bundesrat ab. Womit das Vorhaben zumindest für diese Legislaturperiode beerdigt wäre.

Aber nicht nur an dieser Front ist die CDU-Chefin in die Bre-douille geraten. Ebenso lautstark wie Mappus in Sachen Atom meldete sich dessen Amtskollege aus Hessen zum Thema Sparen zu Wort: Roland Koch will angesichts der desolaten Lage aller öffentlichen Hände die Staatsausgaben insgesamt auf dem Prüfstand sehen. Dabei dürfe es keine Tabus geben. Ob der streitbare Hesse klug beraten war, neben den offenkundig unfinanzierbaren Kita-Träumen auch den Bildungsbereich als Beispiel für Rotstift-Aktionen zu nennen, mag bezweifelt werden. Durch das Echo auf seine Sparempfehlungen kann er sich aber im Prinzip weitgehend bestätigt fühlen. Denn sofort ertönte ein vielstimmiger Chor von Ausnahmeforderungen: Sparen ja, aber nicht bei uns, nicht bei der Bildung, nicht beim Sozialen, nicht bei der inneren und äußeren Sicherheit, nicht bei Integration und Multikulti, nicht bei der Kultur, nicht bei der Förderung der Wirtschaft, nicht bei der Arbeitsmarktpolitik, nicht bei der Gesundheit, nicht bei der Unterstützung maroder Euro-Partner – wo dann eigentlich sonst?

Zumindest hat Koch – wieder einmal – eine Debatte losgetreten, die überfällig war und die Kanzlerin weiter in die Defensive drängt. In der befindet sie sich auch bezüglich der Möglichkeiten, die aus allen Fugen geratenen Finanzmärkte zu zähmen. Sie lehnte bis zuletzt eine Finanztransaktionssteuer ab, solange diese nicht weltweit einheitlich durchsetzbar wäre. Die SPD versagte ihr deshalb die Gefolgschaft beim Griechenland-Hilfspaket – und fand Unterstützung bei der CSU. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer wollte dem neuen Euro-Rettungspaket nur zustimmen, wenn Merkel ihren Widerstand gegen die Finanzmarktsteuer aufgibt, schließlich lenkte Merkel ein (siehe Seite 7).

So sehr der CSU-Chef die Vorsitzende der Schwesterpartei damit in Bedrängnis bringt, wenn es gegen den Kollegen Koch geht, so gerne steht er wieder an Merkels Seite: Es sei „weder klug noch richtig“, den kostspieligen Ausbau von Betreuungsplätzen für Kinder ab einem Jahr zur Disposition zu stellen; auch bei Bildung, Forschung und Familie gebe es nichts zu sparen.

Atomenergie, leere Kassen, Hilflosigkeit gegenüber Euro- und Finanzkrise – die Kakophonie im schwarz-gelben Regierungslager beschränkt sich nicht auf diese drei Stichworte. Nach der NRW-Wahl heißt die Devise nur noch „Jeder gegen jeden“. Einer in der CDU kann sich allerdings womöglich die Hände reiben: Nach PAZ-Informationen treffen die Berichte zu, wonach Rüttgers im Falle seiner Wiederwahl in NRW mit Merkels Unterstützung im Jahre 2014  Bundespräsident hätte werden sollen. Dieser Traum ist geplatzt, Christian Wulff kann ihn weiterträumen.          Hans-Jürgen Mahlitz


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