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22.05.10 / Bizarre Beifallsstürme / Rückblick auf den Kirchentag: Neue Gräben bei der Ökumene und 35 Prozent weniger Dauerteilnehmer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-10 vom 22. Mai 2010

Bizarre Beifallsstürme
Rückblick auf den Kirchentag: Neue Gräben bei der Ökumene und 35 Prozent weniger Dauerteilnehmer

Der Ökumenische Kirchentag (ÖKT) in München war kaum dazu angetan, gläubigen Christen Mut zu machen: Die Ökumene stagniert, die katholische Kirche ist wegen der Missbrauchsfälle niedergeschlagen und ein großes Thema fehlte. Gegegnüber dem ersten ÖKT sank die Zahl der Dauerteilnehmer um ein gutes Drittel.

Unbestritten war sie der Star des Ökumenischen Kirchentages in München. Sie prägte das Christentreffen mit ihrer Kleidung, ihrem Charme und mit Provokationen. Nach dem Rücktritt von ihren kirchlichen Leitungsämtern gefiel Margot Käßmann sich in der neuen Rolle einer Prophetin. Fast trotzig steht sie zu ihrer Afghanistan-Kritik und meint: „Weltverbesserer wollen wir sein.“

Damit sprach sie den meist älteren Kirchentagsbesuchern, die sich in ihre Veranstaltungen drängten, aus dem Herzen. Sie rissen jubelnd die Arme hoch und begrüßten ihr Idol teils mit stehenden Ovationen. An den ersten beiden Tagen muss die Messehalle A4 für ihre „Bibelarbeit“ vorzeitig geschlossen werden, da nicht mehr als 6000 Besucher hineinpassten. Nur Angela Merkel und die Taizé-Brüder zogen ähnliche Menschenmassen an. Dabei waren ihre Themen gar nicht so aufregend. Nachdem Käßmann mit ihrer Predigt am Hochfest Christi Himmelfahrt im Münchner Liebfrauendom („Die Pille ist ein Geschenk Gottes“) die katholische Kirche gewaltig provoziert und neue ökumenische Gräben aufgerissen hatte, arbeitete sie nun ihre Themen ab: Erneut die Kritik am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, der Missbrauchsskandal und das „gemeinsame Mahl“ als angeblich zentralem Baustein der Ökumene (siehe Kommentar Seite 8).

Von den drängenden politischen Themen, die früher die Kirchentage beherrscht haben, war wenig zu hören: Die Bewahrung der Schöpfung, die Abrüstung oder selbst die Kritik am Kapitalismus standen diesmal eher im Hintergrund. Der vormals propagierte „Sozialismus mit christlichem Antlitz“ stößt heute trotz gravierender weltweiter Finanzkrisen auf weniger Aufmerksamkeit. Der linksorientierte „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger redete in einer Halle mit 1000 Plätzen vor gerade einmal 40 Zuhörern. Auch der gastgebende Erzbischof Reinhard Marx („Das Kapital“) schaffte es mit seiner Kritik an der Finanzwelt nicht in die Schlagzeilen.

Der Kirchentag des Jahres 2010, geben die Organisatoren vom evangelischen Kirchentag und dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken zu, hatte kein richtiges Thema – außer eben Frau Käßmann. Die Ökumene steht still und die lauten Vordenker wie Hans Küng oder Fulbert Steffenski sind in die Jahre gekommen. Dennoch loben die Veranstalter einhellig den zweiten Ökumenischen Kirchentag als „großen Erfolg“.

Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sprach vom „guten Geist von München“ und bedauerte das schlechte Wetter. 20000 Menschen hätten bei der orthodoxen Vesper am Freitagabend bei sieben Grad auf dem Münchener Odeonsplatz zwei Stunden lang beim gemeinsamen Mahl der „1000 Tische“ ausgeharrt. Sein evangelisches Pendant, der Medizin-Professor Eckhard Nagel, äußerte überschwänglich, man habe „Geschichte geschrieben“. Das Bild der „1000 Tische gehe hinaus in die Welt“. Weniger euphorisch drückte sich der kommissarische EKD-Chef Schneider aus, der von der Vesper als einer „Vorspeise“ der Ökumene sprach; das „Hauptgericht“ müsse noch kommen – gemeint war die konfessionsübergreifende gemeinsame Eucharistiefeier. Erzbischof Zollitsch warnte hier zurückhaltend vor allzu großen Erwartungen. Angesichts der Dominanz der wegen eines Straßenverkehrsdelikts zurückgetretenen EKD-Ratspräsidentin fanden beim ÖKT andere Akteure von kirchlicher oder weltlicher Seite nur schwer zu einer gewichtigen Rolle.

„Warum lieben alle Margot Käßmann?“, fragt die „Bild“-Zeitung am Abschlusstag in der Schlagzeile. Sie sei ein Mensch wie Du und Ich, erwiderten Besucher von Veranstaltungen mit der evangelischen Theologin. Sie sei geschieden, krebskrank gewesen und nun diese Alkoholprobleme. Sie gehe damit so offen um und ihr Rück-tritt sei so beeindruckend gewesen, schwärmten ÖKT-Besucher in München. Hier surfte Käßmann wieder gekonnt auf der Welle der Stimmung des Augenblicks, nutzte das eigene Missgeschick und zog sogar Verbindungen zum aktuellen Missbrauchsskandal. Sie warnte vor einer „übermenschlichen Kirche“. Diese solle offen mit ihren Fehlern umgehen, nur so könne sie zum „Hoffnungszeichen in der Welt“ werden, sagte die Theologin bei einer Bibelarbeit: „Für manche, die meinten, ich sei als Bischöfin ein auf irgendeine Weise besserer Mensch, war es eine harte Erkenntnis, mich bei einer Verfehlung ertappt und öffentlich zur Schau gestellt zu sehen.“ Die Kirchen seien nicht unfehlbar. Christen wüssten jedoch etwas von Vergebung, Versöhnung, Lebenszusage und Neuanfang, so Käßmann.

Die Zahl der Dauerkarteninhaber wurde nach dem Christentreffen mit 133000 angegeben. Dies sind bei rund 50 Millionen Mitgliedern der beiden Großkirchen rund 0,2 Prozent. Vor allem aber: Der erste Ökumenische Kirchentag 2003 im entchristlichten Berlin mit seinem dünnbesiedelten Umland zählte noch über 200000 Besucher mit Dauerkarte. Welche Kraft von der kräftig eingebrochenen Zahl ausgegangen sein soll, sodass „die Welt sich verändert“ und die Ökumene ein „neues Gesicht“ bekommen habe, wie sich ÖKT-Präsident Nagel ausdrückte, erschließt sich dem unvoreingenommenen Beobachter nur schwer.        Hinrich E. Bues


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