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22.05.10 / Der Polizist und die Wirtin / Drama unter Militärdiktatur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-10 vom 22. Mai 2010

Der Polizist und die Wirtin
Drama unter Militärdiktatur

Es ist eines der blutigsten Kapitel in der Geschichte Argentiniens: Im März 1976 putschten die Machthaber von Luftwaffe, Marine und Heer gegen die Regierung unter Isabel Perón, Witwe von Juan Perón. Junta-Chef Jorge Videla leitete den sogenannten Prozess der nationalen Reorganisation ein. Tatsächlich installierte er ein totalitäres Regime, das einen schmutzigen Krieg gegen seine politischen Gegner mit drastischer Brutalität führte. In den folgenden sieben Jahren verschwanden etwa 30000 Menschen spurlos, 2300 wurden nachweislich ermordet, 10000 verhaftet. Auf das

Schicksal der Vermissten, unter denen sich zahlreiche Studenten befanden, machten ab 1977 die „Maiplatz-Mütter“ aufmerksam. Sie demonstrierten vor dem Regierungsgebäude, um Kenntnis über den Verbleib ihrer Kinder zu erhalten, und wurden selbst zu Opfern der Repression.

In dieser Zeit siedelt Norma Huidobro, geboren 1949 in der Provinz Buenos Aires, ihr Romandebüt „Der verlorene Ort“ an. Der Leser findet sich in einem Bergdorf im Nordwesten Argentiniens wieder. Dort in der von den Anden durchzogenen Grenzregion mit Bolivien und Chile treffen zwei unterschiedliche Charaktere aufeinander: die junge introvertierte Wirtin Maria Valdivieso und der korpulente, launische Polizist Ferroni, der aus der Hauptstadt angereist ist. Ferroni ist auf der Suche nach Matilde, der Frau eines Gewerkschafters aus Buenos Aires, die als vermisst gemeldet wurde. Die Briefe ihrer Freundin Matilde waren die einzige Verbindung zur Außenwelt für Maria, die mit ihrer garstigen Großmutter und einer weisen Indianerin im Ort lebt.

Der Ermittler versucht abwechselnd schmeichelnd und drohend, die Tresendame auszuhorchen. Doch Maria traut ihrem Gegenüber nicht und hält sich bedeckt: „Maria Valdivieso mit ihren Augen aus Stein. Maria Valdivieso verletzt mit ihren Augen aus Stein die Augen der Menschen, die sie ansehen, der Menschen, die in ihre Augen aus Stein sehen. Aber Ferronis Augen verletzt Maria Valdivieso nicht, denn Ferroni ist stark und kann jeden Moment sie verletzen. Aber nein. Noch nicht.“ Längst ahnt sie, dass ihre Freundin in Schwierigkeiten steckt. Die Spannung wächst, als der Polizist Maria immer weiter unter Druck setzt und sich selbst plötzlich an ein traumatisches Kindheitserlebnis erinnert.

Huidobro, die für ihr Debüt den renommierten Premio Clarín erhielt, ist ein feinsinnig-psychologischer Roman gelungen. Die Autorin verbindet argentinisches Lebensgefühl zwischen langen Röcken und gefüllten Maisteigtaschen mit einer weiblichen Weltsicht und männlichen Diktaturverbrechen. Ihre Figuren wie die Großmutter und die Indianerin scheinen einem Märchen entsprungen zu sein. Tatsächlich hat Huidobro in der Vergangenheit zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Sie ist Literaturprofessorin und leitet eine Schreibschule. Die Autorin bekennt sich als Feministin, doch ihre Umsetzungen erscheinen zu konstruiert. Die über das Buch verteilten Liebesbriefe Matildes verwischen schließlich die Grenze zwischen Sentimentalität und Kitsch. Sophia E. Gerber

Norma Huidobro: „Der verlorene Ort“, Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2010, geb., 224 Seiten, 18 Euro


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