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29.05.10 / Schluss der Schinderei gefordert / Russland braucht dringend mehr Rekruten, doch der Ruf seiner Armee ist katastrophal

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-10 vom 29. Mai 2010

Schluss der Schinderei gefordert
Russland braucht dringend mehr Rekruten, doch der Ruf seiner Armee ist katastrophal

In diesen Tagen brechen 270600 Rekruten auf zum Militärdienst. Zu wenig für ein Millionenheer wie die Russische Armee. Verteidigungsminister Anatolij Serdjukow schlug deshalb grundlegende Änderungen vor. Mindestens 800000 neue Soldaten müssten jährlich gezogen werden, um den Bedarf zu decken. Doch woher soll man die jungen Leute nehmen in einem Land, dessen demographische Entwicklung seit Jahren rückläufig ist und dessen Armee in einem solch schlechten Ruf steht, dass viele sich auf jede erdenkliche Art vor ihrer Wehrpflicht zu drücken suchen?

Bisherige Maßnahmen wie die Herabsetzung der Dienstzeit von drei Jahren auf ein Jahr und die Modernisierung der Kasernen konnten die Unbeliebtheit der Armee nicht positiv beeinflussen. Der Hauptgrund hierfür ist die „Dedowschtschina“, ein Disziplinierungsritual, mit dem sich ältere Soldaten die Neuankömmlinge gefügig machen.

Die jungen Männer werden geschlagen, erniedrigt, gefoltert, manchmal sogar getötet. Der Fall des 19-jährigen Rekruten Andrej Sytschew ging um die Welt, dem im Januar 2006 bei einem dieser Rituale die unteren Extremitäten abgequetscht wurden. Der damalige Präsident Wladimir Putin kümmerte sich persönlich um die Angelegenheit und versprach, die Misshandlungen in der Armee zu unterbinden. Wie es scheint, ohne Erfolg.

Die Dedowschtschina wurde in den sowjetischen Gulags praktiziert. In der russischen Armee kam sie erst in den 70er Jahren in Mode. Seitdem desertieren immer wieder Soldaten, die die Folter nicht aushalten. 40 Jahre lang haben Regierungen das Problem entweder nicht erkannt oder stillschweigend darüber hinweg gesehen.

Serdjukow fordert Maßnahmen, die Drückebergern alle Möglichkeiten nehmen sollen, die Wehrpflicht zu umgehen. Um die Zahl der Einberufungen zu erhöhen,  will er das Höchstalter für Rekruten von 27 auf 30 erhöhen, Kriegsdienstverweigerung härter bestrafen. Auch Studenten sollen künftig nicht verschont bleiben. Bis zum vierten Semester können sie einberufen werden. Befreiungen werden nur noch für ein Studium an staatlichen Universitäten ausgestellt, die Fachkräfte für wichtige Staatsbetriebe ausbilden. Die Auswahl dieser Unis wird Premierminister Putin persönlich vornehmen.

Dafür soll der Dienst in der Armee menschlicher werden. Die Soldaten werden nicht mehr quer durch die Republik geschickt, sondern dienen in der Nähe ihres Wohnorts. Sie haben eine Fünf-Tage-Woche mit zwei freien Tagen am Wochenende. Zur Zeit läuft im Tamansker Bataillon ein Pilotprojekt, das, sollte es als erfolgreich erachtet werden, aufs ganze Land angewendet werden soll. Dort müssen Soldaten nur noch militärisch relevante Arbeiten verrichten. Kochen, Putzen und sonstige Dienste erledigen Zivilisten.

Dennoch stieß gerade die Abberufung junger Männer von den Unis auf scharfe Kritik. 77 Prozent sprachen sich in einer Umfrage gegen eine Änderung aus. Traditionell beginnen in Russland junge Menschen ihr Studium mit 17 oder 18 und sie schließen die akademische Ausbildung früher ab als im Westen. Das bedeutet, sie stehen auch der Wirtschaft zeitig zur Verfügung und gründen in jungen Jahren Familien.

Beide Faktoren, gut ausgebildete Fachkräfte für die Wirtschaft und junge Familien, um der demographischen Entwicklung entgegenzuwirken, sind für Russland enorm wichtig. Präsident Dmitrij Medwedew äußerte beschwichtigend, die Einberufung sei keine „persönliche Katastrophe“, sondern „die Erfüllung einer Gesetzespflicht unter normalen modernen Bedingungen.“             Manuela Rosenthal-Kappi


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