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05.06.10 / Honeymoon oder Hinterhalt / Die Beziehung Russland/Türkei ist von Wollen und Müssen geprägt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-10 vom 05. Juni 2010

Honeymoon oder Hinterhalt
Die Beziehung Russland/Türkei ist von Wollen und Müssen geprägt

Zar Nikolaj I. verhöhnte 1852 die Türkei als „kranken Mann am Bosporus“, Russlands Präsident Medwedew feierte sie im Mai  als „verlässlichen Nachbarn und strategischen Partner“. Zur Stärkung der Partnerschaft signierten Dmitrij Medwedjew und der türkische Präsident Abdullah Gül 25 Abkommen, die ökonomische Einbrüche in neue Konjunkturen verwandeln sollen.

Russland ist der größte Handelspartner der Türkei – allerdings mit sinkendem Volumen von 28,5 Milliarden Euro 2008 auf 15 Milliarden 2009, wobei Türken für nur 2,5 Milliarden Euro exportierten. Bis 2015 will man den Umsatz verdreifachen und ausbalancieren. Ein Hoffnungsträger ist der Tourismus, der durch die jetzt vereinbarte Visafreiheit auf drei Millionen russische Besucher jährlich steigen soll.

Interessanter ist der geplante Bau des ersten türkischen Kernkraftwerks im südlichen Akkuyu, wo die russische Spezialfirma „Atomstrojeksport“ bis 2017 vier Reaktorblöcke mit einer Gesamtleistung von 4800 Megawatt errichten wird. Die Baukosten von 16 Milliarden Euro trägt Russland, das dafür Akkuyu in seinem Besitz behält. Später dürfen maximal 49 Prozent an türkische oder ausländische Käufer veräußert werden.

Bei so viel Ökonomie verstummt fast die Politik. Die Türkei hat ihr Drängen in die Europäische Union aufgrund von Unstimmigkeiten abgeschwächt und sucht mit Russland einen starken Ersatzpartner. Doch Moskau fürchtet, Ankara wolle Ex-Sowjetrepubliken in Zentralasien unter dem Banner des „Pan-Turzismus“ um sich scharen – Ankara beschuldigt Russland derweil antitürkischer Ressentiments, sichtbar an der Unterstützung armenischer Sezessionisten im aserbaidschanischen Nagorny Karabach. Folglich darf Ankara mit dem ethnokulturell verwandten Aserbaidschan Kooperation bei der Waffenproduktion vereinbaren. Da ist manches „im Busch“, was der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu kürzlich in der Moskauer Zeitschrift „Russland in der Globalpolitik“ aufzählte.

Beim Gipfeltreffen Medwe­dew–Gül im Mai waren diese Themen fast bedeutungslos geworden. Gewichtiger sind Moskaus erfolgreiche Versuche, energiepolitische Vorhaben der EU zu konterkarieren und die Türkei in eigene Pläne einzuspannen. So ist die 3300 Kilometer lange Pipeline Nabucco vom Kaspischen Meer gefährdet. Sie sollte westeuropäische Abhängigkeit von russischem Gas mildern, aber daraus wird wenig werden.

Russland hat die Türkei, nominell Signatar von Nabucco, in seine konkurrierenden Leitungsprojekte eingebunden – „South Stream“ Ost-West, „Blue Stream“ Nord-Süd –, ihr Garantien für die transanatolische Leitung Samsun-Ceyhan gegeben und ihr mit dem Bau von „Blue Stream 2“ die zentrale Rolle in der Versorgung von Zypern, Libanon, Syrien und Israel mit russischem Gas übertragen. Dabei geht es um Milliarden Kubikmeter und Dollar. Diese Aussicht und die bereits nach Samsun und Ceyhan führenden Leitungen würden die Türkei zum erstrangigen Energieknotenpunkt machen. W.O.


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