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05.06.10 / Der Grund der Unruhe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-10 vom 05. Juni 2010

Der Grund der Unruhe
von Konrad Badenheuer

Auch nach über fünf Jahren ist die sogenannte Nachruf-Affäre um den damaligen Außenminister Fischer (siehe Bericht Seite 5) noch nicht ganz ausgestanden. So liegt bis heute nicht der abschließende Bericht der damals eingesetzten fünfköpfigen Historikerkommission über die Personalpolitik des AA in der Kriegs- und Nachkriegszeit vor, er soll im Herbst dieses Jahres vorgelegt werden. Schon bei ihrer damaligen Einsetzung gab es Fragen. Warum beispielsweise meinte die Regierung Schröder, nur die Mitwirkung eines US-amerikanischen und eines israelischen Historikers sichere die Objektivität?

Wie weit es mit der Wahrheitsliebe der damals Verantwortlichen her ist, zeigt der eindrucksvoller Leserbrief des früheren Botschafters Heinz Schneppen in der „FAZ“ vom 28. Mai. Ausgangspunkt der Affäre war der ehrende Nachruf auf den früheren AA-Diplomaten Franz Nüßlein, der aber laut Fischer angeblich an über 900 Hinrichtungen im tschechischen „Protektorat“ beteiligt gewesen sein soll. Dazu schreibt Schneppen: „Tatsache ist, dass die Ausführungen des damaligen Bundesaußenministers und seiner Staatsministerin Kerstin Müller 2005 in Öffentlichkeit und Deutschem Bundestag zu Nüßleins (angeblicher) Tätigkeit als Staatsanwalt in Prag und seiner Beteiligung an ,zahlreichen Verfahren‘ von den Akten des Auswärtigen Amtes selbst widerlegt werden.“ Schneppen zitiert diese Akten, wonach Nüßlein an den ihm posthum von Fischer vorgehaltenen Todesurteilen „weder als Anklagevertreter noch als Richter“ beteiligt war. Und er nennt ein frappierendes Argument: Noch nicht einmal das tschechoslowakische Sondergericht habe in seinem Urteil vom   5. Mai 1948 Nüßlein die Beteiligung an einem einzigen konkreten Fall zur Last gelegt.

Wer die damalige Urteilspraxis der außerordentlichen Volksgerichte der CSR kennt, weiß, dass dies auf eine weitgehende Entlastung hinausläuft. Schon eine einfache Funktion in der Sudetendeutschen Partei oder einer NS-Organisation wurde damals standardmäßig mit vier Jahren Haft geahndet, eine gehobene Funktion (auch ohne weitere persönliche Verwicklung in NS-Untaten) mit fünf bis 20 Jahren. 475 Deutsche wurden nach Todesurteilen dieser Gerichte erschossen oder erhängt, darunter Persönlichkeiten, die nach den Maßstäben der US-Entnazifizierung gerade einmal Mitläufer waren.

Das Schicksal eines deutschen Oberstaatsanwalts in Prag, der auch nur an einem einzigen Todesurteil gegen einen Tschechen aktiv Anteil gehabt hätte, wäre nach 1945 vor einem solchen Volksgericht besiegelt gewesen. Das alles wusste das AA 1955, als es den entlassenen Nüßlein sofort wieder einstellte, und es wusste es in den Jahren 1960 bis 1965, als es mehrere Ostblock-Kampagnen gegen den Diplomaten zurückwies – und alles ist aktenkundig.

In den Jahren 2003 bis 2005 wollte Joseph Fischer davon nichts mehr wissen. Es war wohl der eigentliche Grund der damaligen Unruhe im AA.


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