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05.06.10 / Plötzlicher Sinneswandel der Opposition / Führer der Bewegung »Gerechtigkeit« verteidigt Gouverneur Boss gegen Rücktrittsforderung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-10 vom 05. Juni 2010

Plötzlicher Sinneswandel der Opposition
Führer der Bewegung »Gerechtigkeit« verteidigt Gouverneur Boss gegen Rücktrittsforderung

Mitarbeiter der im Herbst 2009 aufgelösten Fluglinie „KD Avia“ fordern in einem Brief an Präsident Dmitrij Medwedew den Rücktritt von Georgij Boos. Sie werfen dem Gouverneur Korruption vor, und dass er die Auflösung ihres Betriebs leichtfertig herbeigeführt habe. So habe er die Außenstände für offenstehende Löhne höher als tatsächlich angegeben. Darauf habe Regierungschef Wladimir Putin vier Milliarden Rubel (rund 105 Millionen Euro) für die Begleichung der Lohnschulden bereit gestellt. Bei den Mitarbeitern seien jedoch nur 220 Millionen Rubel (knapp sechs Millionen Euro) angekommen, der Rest sei zweckentfremdet worden. Im Dezember 2009 ließ die Gebietsregierung den Eigentümer der KD Avia, Sergej Grischenko, und dessen geschäftsführenden Direktor Leonid Itzkow dann wegen betrügerischen Bankrotts verhaften. Inzwischen wurden die beiden jedoch gegen Auflagen wieder auf freien Fuß gesetzt.

Überraschend sprach sich der außerparlamentarische Oppositionsführer Konstantin Doroschok von der Bewegung „Sprawedliwost“ (Gerechtigkeit) gegen die Rücktrittsforderung der KD-Avia-Mitarbeiter aus. Seine Begründung: Gouverneur Boos könne nicht in einem Augenblick zu­rück­treten, wo er sich auf die Opposition zubewege und einige ihrer Forderungen erfüllt habe. Seine Unterstützung für Boos bedeute aber nicht, dass er seine oppositionelle Position aufgebe, betonte Doroschok. Vor allem gegen die Einparteienpolitik in Russland werde er sich weiterhin einsetzen.

Doroschok ist ein gescheiterter Gebrauchtwagenhändler, der nach eigenen Angaben wegen überhöhter Zollgebühren 440000 Euro Schulden auftürmte und deshalb mit seinem Unternehmen pleite ging. Seitdem schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch, um sich, seine Frau und seine drei Kinder zu ernähren. Doroschok beteiligte sich zunächst an einer Reihe von Protesten von Autohändlern. Gemeinsam mit Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow gründete er die Oppositionsbewegung „Gerechtigkeit“. Diesen Januar organisierte Doroschok dann die Großdemonstration im Zentrum von Königsberg, an der sich über 10000 Menschen beteiligten und die den Herrschern im fernen Mos­kau einen ordentlichen Schreck eingejagt haben.

Doch schon Ende März machte Doroschok einen plötzlichen Rück­zieher, als er eine für den 20. März angesagte zweite Großdemo wieder absagte. Er begründete die Absage mit der Befürchtung, dass Schlägertruppen zur Provokation der Demonstranten bestellt seien und die Organisatoren der Demonstration bei dieser Gelegenheit verhaftet werden sollten. Auf diese Weise wurden tatsächlich in der Vergangenheit Protestkundgebungen in Moskau und anderen russischen Städten systematisch unterbunden. Viele aus der Protestszene glauben allerdings, dass Doroschok gekauft wurde. Man habe ihm einen Teil seiner Schulden erlassen, behaupten sie.

Für Gouverneur Boos steht sein Amtssessel auf dem Spiel, denn im September stehen Wahlen an und er will im Amt bestätigt werden. Deshalb ist sein Interesse groß, Massenproteste wie die zu Beginn des Jahres zu unterbinden und Moskau zu signalisieren, dass er die Situation in seinem Gouvernement unter Kontrolle habe. Boos ging auf die Opposition zu, indem er sich im März mit Doroschok traf und auf einige Forderungen einging. Er nahm als erstes die geplante Erhöhung der Kfz-Steuer zurück. Kürzlich präsentierte er den offiziellen Schuldigen für die Januar-Unruhen. Es ist der Chef des Königsberger Zolls, Alexander Tschebajew, der die Einfuhrzölle für Gebrauchtwagen eingeführt hatte. Jetzt musste er wegen dieser „Fehlentscheidung“ den Hut nehmen.

Zu dem alljährlichen Wirtschaftsforum im Königsberger Gebiet sind dieses Jahr erstmals auch Oppositionsvertreter, darunter Konstantin Doroschok, eingeladen worden. Die Regierung ändert ihre Taktik: Anstatt Oppositionelle auszugrenzen, werden sie mit ins Boot geholt. Auf diese Weise könnten aus rebellischen Bürgerrechtsbewegungen gemäßigte Organisationen entstehen wie etwa die „Gesellschaftskammer des Königsberger Gebiets“ oder die Ärztekammer. Ob diese Taktik sich für Boos auszahlen wird, ist nach Ansicht Nikolaj Petrows vom Moskauer Carnegie-Zentrum fraglich, denn der Kreml werde den Gouverneur in seiner geschwächten Position nur solange stützen, bis die Lage wieder völlig unter Kontrolle sei. Manuela Rosenthal-Kappi


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