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05.06.10 / Als man Sonne Mond nannte / Eine kurze Klassenfahrt an die Nehrung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-10 vom 05. Juni 2010

Als man Sonne Mond nannte
Eine kurze Klassenfahrt an die Nehrung

Wir begannen damit gleich nach Neujahr. Die Unternehmung war groß und teuer und konnte nur durch geduldiges Sparen geleistet werden. Tag für Tag sammelte ich durch Monate kleine und kleinste Beträge ein, und, siehe da, das Vermögen schwoll. Zum Schluß fehlte nur noch das Wetter. Schließlich hatte uns dann der Himmel mit dem allerschönsten Tage gesegnet. Wir waren an die 100 Mann, die da auszogen, erste und zweite Klasse, voll Sehnsucht und Erwartung, die Rucksäcke zum Platzen gefüllt; denn es galt, zwei Tage zu leben. Auf dem Marsch von Cranz bis Klein Thüringen bereits, wo die Baderast gehalten wurde, hatte ich Gelegenheit, die Norm für die Durchschnittsration aufzustellen: ein Zweipfundbrot, eine Büchse mit Butter, eine mit Schmalz, sechs bis acht harte Eier, ein halbes Pfund Wurst, ein halbes Blech Kuchen, eine Flasche mit Kaffee und eine mit Saft, Schokolade und Bonbons. Und doch wären die armen Kinder mit diesen Schätzen noch verhungert, wenn nicht die Klopse gewesen wären. Es begann mit sechs und wuchs bis zu zehn; doch muß ich hier bekennen, dass eine von den Meinen ein volles Dutzend mitführte. Sie war ein sehr kräftiges Mädchen und so groß wie ich; jedenfalls waren die Klopse, als wir in Sarkau anlangten, – aufgegessen.

 Diese Kinder machten die erste Reise ihres Lebens und erlebten die Nehrung zum ersten mal. Sie hatten so eigenartige Schönheit noch nie gesehen, sie nahmen sie stumm und ganz gewiss unbewusst in sich auf. Doch ich bin sicher, dass nicht eines von ihnen, die nun schon seit Jahren flügge sind und im Berufsleben stehen, diese Tage voll Frieden und fröhlicher Kameradschaft vergessen hat.

Wir waren beim Vater Boy in der Jugendherberge ganz herrlich untergebracht, auf alle Häuser verteilt, soweit der Platz reichte. Gewiss war es in dem kleinen Haus unter dem Dach ein bißchen heiß, ein bisschen sehr heiß, aber dafür war es Sommer, und das anspruchslose Behagen ward nicht beeinträchtigt. Ja, da waren zwei aus der Schar sogar darauf bedacht, die Luft noch auf ihre Art zu verbessern. Sie hatten sich Flundern gekauft, ganz frisch aus dem Rauch, vorsorglich zum nächsten Frühstück, und hatten sie ans Kopfende des Lagers auf den Balken gelegt, in der Absicht, damit zu nächtigen. Zum Glück kam ich rechtzeitig dahinter.

Wir saßen am Abend, nach Sonnenuntergang, noch eine Stunde am Haff, eine müde kleine Gemeinde. Wir saßen still im Sand und sangen ganz andächtig und zart unsere schönsten Heimatlieder. Ein paar Kähne lagen auf dem Strand, und andere waren draußen, sie wurden ganz sacht gewiegt, ihre schlanken Masten standen wie Speere vor dem Himmel.

Da stieg es drüben im Osten rund und rot und feierlich herauf, eine riesenhafte Scheibe rollte sich langsam empor, sie kletterte wie ein großer Lampion an einer Maststange in die Höhe, als wollte sie sich dort oben aufhängen. Eins der Kinder sagte in die Stille hinein voll Seligkeit: „Seht doch den Mond!“

Und da, merkwürdig genug, gab es hier und da ein Gelächter: „Aber, das ist doch die Sonne!“

Das stille Ufer war plötzlich erfüllt von unaufhaltsamem, fröhlichem Kindergelächter. Ja, was war es denn nun?

Eine der Meinen, ein armes, kleines Stadtkind, das vom Himmel nichts kannte als den schmalen Streifen zwischen den Dächern, gestand mir leise beschämt: „Ich habe zuerst auch gedacht, es ist der Mond.“

O Schulmeister, dein Werk ist schwer und wenig lohnend! Um die Verwirrung voll zu machen und das Problem auf immer unlösbar – wie sich späterhin erwies – begann der Expeditionsleiter aus dem Humor seines Herzens heraus mit seiner tiefen, kräftigen Stimme ein neues Lied, das letzte vorm Schlafengehen.

Und der Chor der Kinderstimmen fiel ein und sang das zweifelhafte Himmelslicht voll Andacht an: „Goldne Abendsonne, wie bist du so schön ...“ Gertrud Papendick


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