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05.06.10 / Ein schnell erzähltes Leben / Eine Geschichte der deutschen Einheit – aber keine große Biographie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-10 vom 05. Juni 2010

Ein schnell erzähltes Leben
Eine Geschichte der deutschen Einheit – aber keine große Biographie

Am 3. April 2010 konnte Helmut Kohl seinen 80. Geburtstag begehen. Als Bundeskanzler hat er Verdienste um das Zustandekommen der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990, über 16 Jahre amtierte er als Regierungschef. Mag es auch Gründe  geben, einige Aspekte seines Agierens kritisch zu betrachten, so fiel die öffentliche Würdigung Kohls aus Anlass seines Jubiläums in einer zurückhaltend-distanzierten Weise aus, die seinem historischen Rang nicht angemessen ist.

Entsprechendes gilt für den Buchmarkt: Zwei Darstellungen sind unlängst erschienen. Zum einen handelt es sich um „Helmut Kohl – Die Biographie“, welche die „Spiegel“-Journalisten Hans-Joachim Noack und Wolfram Bickerich erarbeitet haben, zum anderen um „Helmut Kohl – Virtuose der Macht“, welches der ehemalige WDR-Redakteur Heribert Schwan gemeinsam mit dem Leiter des Innsbrucker Instituts für Zeitgeschichte, Rolf Steininger, vorgelegt hat. Beiden Büchern ist deutlich anzumerken, dass sie unter Zeitdruck entstanden sind, um rechtzeitig auf dem Markt zu sein. Eine Reihe von Flüchtigkeitsfehlern und offensichtlich unbeabsichtigte Wiederholungen, insbesondere beim „Virtuosen der Macht“, machen sich störend bemerkbar.

Die Biographie über Helmut Kohl haben Noack und Bickerich mit Sicherheit nicht vorgelegt. Weiß man wenig über Kohl, so mag man das Buch mit Gewinn lesen. Sein Leben oder besser sein aus Politik bestehendes Leben wird nacherzählt, angefangen vom Engagement in der CDU, dem Aufstieg in Rheinland-Pfalz, dem Wirken als Oppositionsführer in Bonn, über die Zeit als Kanzler und die deutsche Einheit bis hin zur europäischen Einigung und den Schwierigkeiten nach 1990. Ausgelassen ist kaum etwas, allerdings auch nicht sonderlich vertieft. Die Autoren lassen Kohl sehr oft mit Äußerungen aus seinen eigenen Werken zu Wort kommen, um dies dann zustimmend, zweifelnd oder kritisch zu kommentieren. Auch aus veröffentlichten Erinnerungen von Kohl-Mitarbeitern wird viel zitiert – man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, allzu viel Recherche-Aufwand habe die Erstellung des Buches nicht verursacht.

Schwan und Steininger bewundern den „Virtuosen der Macht“ für seine staatsmännischen Leistungen, zuweilen etwas plakativ. Ihr Buch beruht auf wesentlich breiterer Grundlage. Die Autoren konzentrieren sich allerdings auf das Zustandekommen der deutschen Einheit, diesem Bereich sind zwei Drittel des Umfangs gewidmet. Während die anderen Stationen im politischen Leben Kohls kursorisch abgehandelt werden, präsentieren die Autoren einige bislang nur wenig thematisierte Aspekte der Vorgänge von 1989/90. Bekannt ist beispielsweise, dass die britische Premierministerin Thatcher von Anfang an offen ihre Abneigung gegen eine Wiedervereinigung zeigte. Gezeigt wird hier, dass der französische Staatspräsident Mitterrand ähnlich dachte. Er spielte ein Doppelspiel, so dass Kohl ihn stets als Freund wahrnahm. Schwan und Steininger machen auch darauf aufmerksam, dass die „Zehn Punkte für Deutschland“ letztlich auf einen Anstoß der Sowjets zurückgingen, der allerdings in eine ganz andere Richtung gehen sollte. Ein grandioses Missverständnis führte zu eben jenem Programm, das Kohl am 28. November 1989 als Überraschungscoup im Bundestag präsentierte.

Noack und Bickerich streifen vieles, Schwan und Steininger stellen den Weg zur Wiedervereinigung dar. Den mitunter weit vorausschauenden Führungsstil, das „System Kohl“ würdigen beide Werke. Eine ausgewogene, gründliche, alle Lebensbereiche umfassende Biographie des sechsten Bundeskanzlers ist noch zu schreiben. Der 80. Geburtstag wäre ein Anlass gewesen, ein solches Unterfangen zu wagen.  Erik Lommatzsch

Hans-Joachim Noack/Wolfram Bickerich: „Helmut Kohl – Die Biographie“, Rowohlt, Berlin 2010, geb., 301 Seiten, 19,95 Euro; Heribert Schwan/Rolf Steininger, „Helmut Kohl – Virtuose der Macht“, Artemis & Winkler, Mannheim 2010, 333 Seiten, 19,90 Euro


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