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12.06.10 / Denkt Barack Obama um? / Nach dem diplomatischen Debakel in Sachen Gaza fürchtet Israel eine Änderung der US-Nahostpolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-10 vom 12. Juni 2010

Denkt Barack Obama um?
Nach dem diplomatischen Debakel in Sachen Gaza fürchtet Israel eine Änderung der US-Nahostpolitik

Mit der Kaperung des Hilfskon­vois für den Gaza-Streifen auf hoher See mit neun Toten hat die Regierung Netanjahu Israel ein diplomatisches Debakel bereitet. Während das rigorose Vorgehen in der israelischen Bevölkerung überwiegend Zustimmung findet, könnten die USA ihre bisherige Nahost-Politik überdenken. In Israel wächst die Sorge vor einer von Washington oktroyierten Friedensregelung.

Bis vor einer Woche schien es so, als habe Israel in der Welt drei zuverlässige Partner von Gewicht: Die USA, Deutschland und die Türkei. Seit der Kaperung des Hilfskonvois am vergangenen Montag sind davon nur noch zwei übrig geblieben: Washington und Berlin. Schon aus innenpolitischen Gründen kann der türkische Premier Erdogan die bisherige pro-israelische Politik seines Landes so nicht weiter durchhalten. Aber auch in Washington und Berlin könnte die Stimmung kippen – nicht gegen Israel, wohl aber gegen die Politik seiner momentanen Regierung unter Benjamin Netanjahu.

US-Präsident Barack Obama ist vor allem über zwei Folgen der Aktion verärgert: Zum einen gefährdet der Zornesausbruch in der arabischen Welt über das Kommandounternehmen die Chancen der mühsam angestoßenen, indirekten Friedensgespräche zwischen Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas und Israel. Zum anderen wird es nun für Washington noch schwerer, einen einstimmigen Beschluss im 15-köpfigen UN-Sicherheitsrat gegen die atomaren Ambitionen des Iran zustande zu bekommen. Dem Gremium gehört momentan (noch bis Oktober) auch die Türkei an, und sie verlangt, dass eine Resolution noch deutlicher als bisher auch das nukleare Potenzial Israels thematisieren müsste. Diese Forderung ist für Israel und seine treuesten Freunde in Washington aber ein rotes Tuch: Schon vor wenigen Wochen hatte die Regierung Obama hier einen aus Sicht Netanjahus unerträglichen Schritt getan, indem es auf der Konferenz über die Nichtverbreitung von Atomwaffen die Forderung billigte, Israel müsse Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde ins Land lassen.

In Jerusalem weiß man, dass die  schier endlose Geduld der USA und auch Deutschlands mit völkerrechtlich kaum vertretbaren Aktionen Israels auch einmal zu Ende gehen könnte. Zweifellos wird der politische Preis, den insbesondere Barack Obama für die „Nibelungentreue“ seines Landes zu Israel entrichten muss, immer höher. „Israel entwickelt sich allmählich für die USA von einer Bereicherung zu einer Belastung“, erklärte kein anderer als Mossad-Chef Meir Dagan am Tage nach dem gewaltsamen Stopp des Hilfskonvois vor dem Auswärtigen Ausschuss der Knesset. Eindringlich warnte er die israelischen Parlamentarier, Obama erwäge nun, Israel eine Friedenslösung zu diktieren.

Außer Frage steht, dass die USA dazu Mittel und Möglichkeiten haben. Washington müsste Israel keineswegs im Stich lassen, sondern seine schützende Hand nur wenige Millimeter zurückziehen, um bedeutende Zugeständnisse durchsetzen zu können. Es würde ja schon genügen, eine der vielen UN-Resolutionen, die Israel zu Entgegenkommen an die Palästinenser auffordert, nicht mehr durch Veto zu stoppen.

Dass der Zug in diese Richtung geht, zeigt auch die Haltung der deutschen Bundesregierung. Der offene Hinweis Merkels auf die „Unverhältnismäßigkeit“ der Aktion und ihr Ja zu einer Untersuchung des Vorgangs unter internationaler Beteiligung zeigt, dass Berlin sich auf eine Kurskorrektur der USA einstellt und dieser jedenfalls keinen Widerstand mehr entgegensetzen würde. Das ist für die Regierung Netanjahu alarmierend, denn Berlin hat in den zurückliegenden Jahren in weit größerem Umfang, als es öffentlich bekannt wurde, vor allem im Rahmen der EU, Israel diplomatisch und politisch unterstützt und vor Kritik oder gar Sanktionen geschützt. Zu den sichtbaren „Spitzen des Eisbergs“ dieser Unterstützung gehört das Schweigen der Bundeskanzlerin zur israelischen Militäroperation im Gaza-Streifen im Januar 2009. Bei dieser Vergeltungsaktion für (je nach Zählung) vier bis 20 israelische Zivilisten starben nach Angaben der israelischen Menschenrechts-organisation B’Tselem 1385 Palästinenser, selbst das israelische Militär gibt 1166 Getötete zu. Während viele EU-Partner zumindest Kritik äußerten, signalisierte die deutsche Kanzlerin sogar Verständnis.

Obwohl sich auf den aufgebrachten Schiffen auch einige gewaltbereite Islamisten befanden und die Aktion keineswegs nur humanitäre Hilfe zum Ziel hatte, hat Israel einmal mehr den Kampf um die Sympathien der internationalen Gemeinschaft verloren. Nicht nur den Diplomaten, sondern auch der israelischen Öffentlichkeit ist das bekannt. Doch viele Israelis leben in der Überzeugung, ihr Land sei zwischen islamistischen Vernichtungsdrohungen und iranischen Nuklear-amibition existienziell gefährdet und könne von der Völkergemeinschaft ohnehin nichts erwarten. Diese Grundeinstellung, die historisch gut zu erklären ist, bildet den Boden für viele Völkerrechtsverstöße Israels. Berlin versucht seit langem, dem israelischen Gefühl, „allein mit dem Rücken zur Wand zu stehen“ und deswegen in einer Art Notwehrsituation sonst Verbotenes tun zu dürfen, durch demonstrative Unterstützung entgegenzuwirken.

Diese Linie mutet den Palästinensern einiges zu, kann ihnen aber auch nutzen. Sie wäre besonders gefordert, falls sich nun in Washington der Wind gegen Israel drehen sollte. Wenn Barack Obama mit einer ruppig durchgesetzten Friedensregelung für den Nahen Osten sich gleichsam rück-wirkend den Friedensnobelpreis erarbeiten wollte, wäre das die Stunde der Bewährung für eine deutsche Israelpolitik, die auch die Rechte der Palästinenser nicht aus den Augen verloren hat. Konrad Badenheuer


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