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12.06.10 / Griff nach der Phantom-Krone / Porträt Wilhelms von Habsburg, der König der Ukraine werden wollte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-10 vom 12. Juni 2010

Griff nach der Phantom-Krone
Porträt Wilhelms von Habsburg, der König der Ukraine werden wollte

Ein dicker Fisch ist dem sowjetischen Geheimdienst am Morgen des 26. August 1947 ins Netz gegangen. Vor dem Wiener Südbahnhof zerren die Schergen Wilhelm von Habsburg-Lothringen in ein Auto und verfrachten ihn in ein Flugzeug nach Kiew. Dort verurteilt ihn der KGB zu 25 Jahren Haft. Die Liste der Vorwürfe ist lang: Thronanwärterschaft für einen ukrainischen Satellitenstaat, Heerführung der Freien Kosaken, Verbindungen mit Exil-Ukrainern, Spionage sowohl gegen Hitler als auch gegen Stalin. Nur ein Jahr später stirbt der 53-Jährige im Gefängnis an Entkräftung.

Was war das für ein Mann, der bereits nach dem Ersten Weltkrieg die Idee einer unabhängigen, westlichen Ukraine verfolgte? Dieser Frage geht der Amerikaner Timothy Snyder in seiner Biographie über Wilhelm von Habsburg nach. Der renommierte Historiker stöberte in den Archiven Mos-kaus, Kiews, Warschaus, Prags, Berlins und Wiens, um die Spur der bis dato unbekannten Randfigur aufzunehmen. Sicherlich ist Erzherzog Wilhelm nur ein kleiner Fisch im Meer der europäischen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Snyder versteht es jedoch, exemplarisch an seinem Leben die Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa aufzuzeigen.

1895 geboren wuchs Wilhelm als jüngstes von sechs Kindern einer Adelsfamilie der Habsburg-Lothringer auf. Sein Vater Stefan, Ur-Ur-Enkel der Kaiserin Maria Theresia, träumte von einer österreichisch-ungarisch-polnischen Monarchie mit ihm selbst als König von Polen. Wilhelm erwärmte sich hingegen für die Ruthenen, die von polnischen Adligen und dem Klerus unterdrückte ukrainische Minderheit in Galizien. Heimlich verließ er als Jugendlicher das elterliche Schloss im heute polnischen Saybusch (Zywiec) und reiste inkognito zweiter Klasse in die Karpaten. Hier lernte er die ukrainische Sprache und Kultur kennen.

Im Ersten Weltkrieg erhielt Wilhelm das Kommando über ein vorwiegend ukrainisches Regiment. Unter der Offiziersuniform trug er ein ukrainisches Hemd, welches ihm den Beinamen „Vasyl“ einbrachte. Polnische Verwalter tauften ihn den „roten Prinzen“, weil er sich für die Rechte der Landbevölkerung einsetzte und seine Bauernsoldaten mit Respekt behandelte. Die 1918 ausgerufene Ukrainische Volksrepublik und die Hoffnung Wilhelms, neues Staatsoberhaupt zu werden, waren nur von kurzer Dauer. Der Sieg der Roten Armee durchkreuzte die Pläne.

Die Exiljahre nach dem Untergang Habsburgs gleichen einem Abenteuerfilm, in dem Wilhelm als Casanova und James Bond Europa durchquert. In München warb er für eine ukrainische Befreiungsarmee, die wegen seiner unzuverlässigen Partner aus dem Umfeld der deutschen Freikorps scheiterte. In Madrid geriet er als Immobilienmakler an dubiose Geschäftsleute. In Paris füllten seine Affären mit Tänzerinnen und Strichjungen die Boulevardpresse. Aufgrund eines Betrugsskandals floh Wilhelm schließlich nach Wien. Als er 1941 erkannte, dass eine unabhängige Ukraine unter deutscher Herrschaft unmöglich war, spionierte er für die Briten und Franzosen gegen NS-Deutschland, nach Kriegsende auch gegen die Sowjetunion.

Mit viel Liebe zum Detail und in spannender Erzählmanier zeichnet Snyder das Lebensbild des schillernden Herzogs nach, der als schwarzes Schaf der Habsburger jahrelang in den Archiven verschwunden war. Sophia E. Gerber

Timothy Snyder: „Der König der Ukraine – Die geheimen Leben des Wilhelm von Habsburg“, Zsolnay Verlag, Wien 2009, gebunden, 414 Seiten, 24,90 Euro


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