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19.06.10 / »Deepwater Horizon« ist nur der Anfang / Angesichts des weltweit steigenden Ölbedarfs wächst der Druck, Ölreserven unter dem Meer zu fördern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-10 vom 19. Juni 2010

»Deepwater Horizon« ist nur der Anfang
Angesichts des weltweit steigenden Ölbedarfs wächst der Druck, Ölreserven unter dem Meer zu fördern

Wenn die Sicherheitskultur nicht einen Quantensprung macht, dann dürfte die Ölpest im Golf von Mexiko nicht die letzte gewesen sein. Denn die meisten Energievorräte der Zukunft müssen der Tiefsee entrissen werden.

Unter derzeit 750 Ölplattformen in den Meeren der Welt schlummert der Großteil der verbliebenen Erdölreserven der Menschheit, aber auch unkalkulierbare, gewaltige Risiken für ihre Umwelt. Die nun schon über 50 Tage andauernde Ölpest und das Desaster des BP-Konzerns im Golf von Mexiko zeigen überdeutlich, dass die komplizierte Offshoretechnik mit Tiefseebohrungen von weit über 3000 Metern längst nicht so einfach beherrschbar ist, wie das zukunftsgläubige Manager noch vor kurzem behauptet hatten. Und dabei ist das Ölfeld unter der explodierten „Deepwater Horizon“ gerade mal so groß, dass daraus nur der weltweite Ölverbrauch eines Tages gestillt werden könnte.

US-Präsident Barack Obama, der sich täglich der Katastrophe stellen muss, sieht denn auch schon die Konsequenzen für seine Nation und den Rest der Welt: „Die wirtschaftlichen Folgen werden beachtlich und dauerhaft sein.“

Indes, die ökonomische Erkenntnis der Amerikaner allein genügt nicht mehr. Der Eingriff des Menschen in die unberührten Gefilde der Tiefsee, die Geburtsstätte allen Lebens, birgt unwägbare und bislang nicht erforschte Gefahren für das biologische Leben und Gleichgewicht auf dem gesamten Globus. Bereits 2009 war es vor Australiens Küsten zu einem ähnlichen Unfall gekommen, als aus einem Bohrloch 2600 Meter unter dem Meeresboden über zehn Wochen pro Tag 64000 Liter Öl in die Timorsee strömten und die Bohrplattform Feuer fing. Zum Glück konnte dieses Loch gestopft werden. Auch vor Brasilien kam es 2001 bereits zu einer ähnlichen Katastrophe, der freigesetzte Ölteppich trieb über das offene Meer davon. Völlig ungeklärt ist die Entsorgung der bei der Ölförderung anfallenden radioaktiven Abfälle, die immerhin mehrere Millionen Tonnen im Jahr betragen. Die Unfälle können getrost als Menetekel für zu erwartende künftige Katastrophen gewertet werden, denn bislang sind die Sicherheitsstandards aus Kostengründen gering, die Überwachung mangelhaft und die Dividenden wichtiger als der Schutz der Natur.

War der deutschen Öffentlichkeit bisher nur bewusst, dass es solch gewagte Bohrungen im Golf von Mexiko, vor Norwegens Küsten und in der Nordsee gibt, so richtet sich mittlerweile die Aufmerksamkeit vor allem auch der Umweltaktivisten auf das gesamte Ausmaß der unterseeischen Aktivitäten bis nach Asien, Südamerika, Afrika und in die Eismeere.

Und die sind zahlreich: Allein im Golf von Mexiko bohren und pumpen 115 Plattformen, dazu werden in das sogenannte „Perdido-Feld“ der Shell, ebenfalls im Golf, weitere 35 Bohrlöcher getrieben. Chile lässt in der Magellanstraße nach Erdöl und Gas suchen, Ecuador verschmutzt seine zum Meer führenden Flüsse mit Ölschlamm, neue Funde vor Brasiliens Küsten machten bereits 65 Bohrinseln notwendig, meist in Regie des staatlichen Konzerns „Petrobas“. Und schon wird auch vor den zu England gehörenden Falklandinseln im Sturmumtobten Südatlantik gebohrt, wo nach Schätzungen mehrere Milliarden Barrel Erdöl lagern könnten. Vorsorglich hat Großbritannien bei der Uno weitere Rechte auf andere Standorte im Atlantik angemeldet, so rund um Südgeorgien, die Seegebiete der Insel Aszension und im Nordatlantik auf die Umgebung des vor Schottland liegenden Rock-all-Felsens. Auch vor der Südküste Irlands wird bereits gebohrt. Vor den Vereinten Nationen reklamierten zudem für den stürmischen Golf von Biskaya Spanien, Frankreich und Irland Rechte. Griechenland wurde im Prinos-Grabenbruch zwischen makedonischem Festland und der Insel Thasos fündig. Im Fernen Osten werden vor Vietnam durch Total Bohrtürme errichtet, in der Südchinasee bei der philippinischen Insel Palawan und vor Australiens Küsten in der Timorsee geht es ebenfalls um die Ausbeutung großer unterseeischer Felder. In der Barentssee streiten sich Norweger und Russen um neu entdeckte Ölfelder in ihren Tiefen.

Weitere Begehrlichkeiten richten sich vor allem auch auf die Antarktis, wo der für Washington arbeitende US-Experte Donald Gautier bis zu 100 Milliarden Barrel vermutet. Hier streiten sich Belgien, Frankreich, Japan, Norwegen, die Sowjetunion, die USA und Anrainer-Staaten wie Neuseeland und Australien um die Rechte, die laut Antarktisvertrag von 1959 und seiner Verlängerung 1991 noch rund 30 Jahre unverwirklichbar sind.

Der Gebietsstreit um die Arktis zwischen Dänemark, Norwegen, Russland, Kanada und den USA ist ebenfalls nur im Zeichen des Runs auf das „Schwarze Gold“ zu sehen. Immerhin werden die nachgewiesenen Ölreserven dort derzeit auf rund 1,24 Billionen Barrel geschätzt, die Arktis dürfte nach denselben Schätzungen an den noch zu entdeckenden Reserven mit 13 Prozent beteiligt sein, bei Erdgas sogar mit 30 Prozent. Russland argumentiert, dass der arktische Lomonossowrücken eine Verlängerung des Ural sei und mithin den Anspruch beweise. So pflanzten die Russen in über 4000 Metern Wassertiefe ihre Flagge am Nordpol auf.

Eine herausragende Rolle spielen die Ölfelder vor der westafrikanischen Küste von Nigeria, Guinea, Kamerun, Ghana, Gabun und der Elfenbeinküste. Hier pokert vor allem die Volksrepublik China mit ihrem wachsenden Rohstoffhunger für 50 Milliarden Dollar um 23 Ölfelder oder sechs Milliarden Barrel Öl vor den Küsten Nigerias, das – politisch brisant – einer der Hauptlieferanten der USA ist. Doch 16 dieser Lizenzen für Total, Shell, Chevron und ExxonMobil laufen demnächst aus. Der Ölverbrauch Chinas liegt derzeit bei 6,7 Millionen Barrel täglich und dürfte sich in zwei Jahrzehnten auf 13 Millionen verdoppeln. Gegenwärtig wird mit globalen Reserven von 172 Milliarden Tonnen gerechnet. Allerdings werden immer wieder neue Felder entdeckt, viele davon in den Tiefseebecken.

Es sind fast ausschließlich die großen Konzerne wie Shell, ExonMobil, BP, Total und Chevron, die die aufwendigen Projekte finanzieren können, denn Ölgewinnung aus der Tiefsee kostet gut vier Mal mehr als an Land. Dreistellige Millionenbeträge, manchmal sogar Milliardenaufwendungen sind nötig, um solche Quellen zu erschließen, wobei Kosten in Höhe von bis zu 100 Millionen Dollar je Loch kalkuliert werden. Joachim Feyerabend

Foto: Flammen vor der Küste Australiens 2009: Das Bohrloch konnte hier allerdings schnell geschlossen werden.


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