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26.06.10 / »Milliardenvermögen wird vernichtet« / Bausicherheit: Deregulierung und Sparzwang gefährden die Bürger – Infrastruktur verfällt langsam

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-10 vom 26. Juni 2010

»Milliardenvermögen wird vernichtet«
Bausicherheit: Deregulierung und Sparzwang gefährden die Bürger – Infrastruktur verfällt langsam

Die tödlichen Einsturz-Katastrophen beim U-Bahn-Bau in Köln und bei einer Eishalle in Bad Reichenhall haben das Thema Sicherheit am Bau auf die Tagesordnung der Politik gebracht. Der Präsident der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik, Dr.-ing. Hans-Peter Andrä, erläutert im Gespräch mit Rebecca Bellano die Versäumnisse.

PAZ: Fast die Hälfte der 38400 Brücken an Bundesstraßen und Autobahnen soll in einem schlechten Zustand sein. Gleichzeitig liest man immer wieder, dass neue Brücke kaum fertiggestellt bereits sanierungsbedürftig seien. Was ist da los in unserem Land, das weltweit wegen seiner Ingenieurskunst gepriesen wird?

Hans-Peter Andrä: Bauwerke aller Art, insbesondere aber Brücken, die hohen Beanspruchungen durch zunehmende Verkehrslasten und durch die Bewitterung (Regen, Kälte, Hitze, Schnee, Tausalz) ausgesetzt sind, bedürfen einer laufenden Unterhaltung. Die Unterhaltungsmaßnahmen werden zeitabhängig überproportional immer teurer, je mehr Schäden sich angehäuft haben. Es fehlt aber das politische Verantwortungsbewusstsein, für die Unterhaltung rechtzeitig Geld bereitzustellen und haushaltsrechtlich abzusichern. Daher wird zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland nach und nach ein Milliardenvermögen an gebauter Substanz vernichtet – wir befinden uns auf dem gleichen Weg, den die ehemalige DDR gegangen ist. Bei neuen Bauwerken lassen sich Qualitätsanforderungen immer schwerer durchsetzen, weil nur noch das billigste Angebot zählt. Der Bauprozess selbst ist zu einem juristischen Spiel über Vertragsinterpretationen verkommen, der immense Kräfte bindet. In der Summe sind die Vergaben an den billigsten Bieter, der vor allem nur das juristische Spiel spielt, die teuerste Lösung. Ich schätze des Einsparungspotenzial bei einem fairen, partnerschaftlichem Umgang nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf 20 Prozent der Baukosten ein.

PAZ: Viele Neubaustrecken unter den Autobahnen leiden unter sogenanntem Betonkrebs und zerbröseln. Wer haftet dafür und wie ist so etwas überhaupt möglich? Gibt es keine Bauaufsicht?

Andrä: Der sogenannte Betonkrebs ist auf ungeeignete Betonrezepturen, insbesondere auf ungeeignetes Kiesgestein als Zuschlagstoff für den Beton zurückzuführen. Das Phänomen ist grundsätzlich schon lange bekannt. Dass solche Rezepturen verwendet werden, ist einerseits auf einen Verlust an technischem Know-how zurückzuführen, andererseits darauf, dass es heutzutage immer aufwändiger wird, die Herkunft der Zuschlagstoffe nachzuvollziehen und zu kontrollieren.

PAZ: Bauaufsicht ist Sache der Länder. Welche Probleme ergeben sich hieraus?

Andrä: Das Problem liegt darin, dass in den Ländern die Bedeutung und die Aufgaben der Bauaufsicht unterschiedlich gesehen werden. Bauaufsicht bedeutet, dass Baumängel vermieden werden, die Leben oder Gesundheit der Bürger beeinträchtigen können. Wenn die Bauaufsicht gut funktioniert, gibt es nur geringe Mängel, was bei politischen Mandatsträgern mancher Bundesländer zu dem Fehlschluss führt, dass man die Bauaufsicht nicht benötige, weil nichts passiert. Unter dem falsch verstandenen Deckmantel der Deregulierung wird dann der Bauaufsicht die Fachkompetenz durch Stellenabbau entzogen. Die unterschiedliche Interpretation führt zu unterschiedlichen Herangehensweisen in unterschiedlichen Bundesländern – aber insgesamt auf einer abwärts gerichteten Spirale, weil man sich bei länderübergreifenden Abstimmungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt.

PAZ: Sie beklagen, dass die öffentliche Hand bei der Bauaufsicht spart. Wie wirkt sich das auf die Sicherheit der Bürger und den Einsatz von Steuermitteln aus?

Andrä: Die öffentliche Hand setzt Baurecht, aber sie will es nicht mehr durchsetzen. Man kann das damit vergleichen, dass man zwar Verkehrsregeln aufstellt, aber auf die Verkehrspolizei verzichtet. Nach dem Einsturz der Eissporthalle in Reichenhall wurden viele Versammlungs- und Sporthallen überprüft. Nicht weniger als fünf Prozent der über 1000 Hallen, die von Mitgliedern der Bundesvereinigung der Prüfingenieure überprüft wurden, waren einsturzgefährdet und mussten geschlossen werden. Das heißt, dass sich mehrere 10000 Bürger in Lebensgefahr befanden, die erst durch das Ereignis des Einsturzes in Reichenhall und das anschließende Erwachen abgewendet wurde. Der Verzicht des Staates auf die Durchsetzung von Baurecht wirkt sich also auf die Sicherheit der Bürger aus.

PAZ: In einem Interview mit dem „Focus“ unterstellten Sie dem Staat, dass die öffentliche Hand keine Verantwortung mehr für die Sicherheit tragen möchte. Eine provokante These!

Andrä: Der Prüfingenieur war originär hoheitlich tätig. Diese hoheitliche Funktion wurde ihm nun aber in einer Reihe von Bundesländern aberkannt. Dabei wurde stets das Argument ins Feld geführt, dass man die Eigenverantwortlichkeit der Bürger stärken müsse, und dass man dies nur dadurch erreichen könne, dass staatliche Kontrollen abgebaut werden. Der Bürger könne einen Prüfingenieur ja aus Privatinteresse selbst einschalten. Selbst die Bankenkrise, die ja hinsichtlich der Eigenverantwortlichkeit Bände spricht, hat hier zu keinem Umdenken geführt.

PAZ: Der Preisdruck in der Bauwirtschaft ist mit verantwortlich für den zunehmenden Pfusch. Inwieweit verstärkt die öffentliche Hand in ihrer Funktion als Bauherr diese Entwicklung noch?

Andrä: Die öffentliche Hand verstärkt diese Entwicklung durch ihre Vergabepraxis, bei der im Endergebnis der billigste Bieter – unabhängig von Qualifikation und Leistungsbereitschaft – den Auftrag erhält. Das ist natürlich am einfachsten, weil man dann kein fachlich qualifiziertes Personal, das in unabhängiger Stellung nur der Sache verpflichtet ist, mehr vorhalten muss, sondern die Entscheidungen auch Betriebswirten und Juristen überlassen kann. Es ist dringend erforderlich, das Vergaberecht zu reformieren, wenn weiterer Schaden von unserem Staat abgewendet werden soll.

PAZ: Hat der spektakuläre Einsturz der Kölner U-Bahn Auswirkungen auf die Handhabung der Bauaufsicht gehabt?

Andrä: Bei der Fortführung der Baumaßnahme in Köln selbst sind zweifellos wichtige Weichenstellungen getroffen worden, um weitere Fehlermöglichkeiten zu reduzieren. Ein grundsätzlicher Wille der Bauministerien, aus der Bauaufsicht wieder ein Instrument zu machen, das wirkungsvoll vorbeugende Maßnahmen zur Schadensvermeidung und zum Schutz der Bürger ergreifen kann, ist bisher aber nicht erkennbar.


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