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26.06.10 / Streikwelle nützt Peking / Chinesische Regierung will Binnennachfrage stärken, höhere Löhne sind da erwünscht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-10 vom 26. Juni 2010

Streikwelle nützt Peking
Chinesische Regierung will Binnennachfrage stärken, höhere Löhne sind da erwünscht

Den Auftakt machten die Streiks bei Honda und dem Computerbauer Foxcomm. Nach tagelangen Ausständen bei ihren Teilwerken – bei Honda in seinen Fabriken für Getriebe, Vergaser und Türschlösser – mussten sie die Löhne um 24 Prozent beziehungsweise 33 Prozent erhöhen. Obwohl das Streikrecht 1982 aus der Verfassung gestrichen wurde, sind Streiks und spontane Ausstände in China nicht selten. In der selben Woche betrafen sie auch die taiwanesischen Firmen Merry Electronics und KOK International sowie den japanischen Nähmaschinenhersteller Brother.

Neu daran war, dass die chinesische Regierung nicht sofort eingriff und die von der trägen Parteigewerkschaft unabhängigen Organisatoren gewähren und sogar die Medien und Internetforen über jenes Tabuthema einige Tage lang ausführlich debattieren ließ. Dabei sind die Arbeitsbedingungen und Löhne in jenen modernen Werken nach chinesischen Standards gar nicht einmal schlecht. Allerdings gab es in dem Werk Longhua von Foxcomm zuvor zehn Selbstmorde. 300000 Arbeiter werden dort beschäftigt, die in Zwölfstundenschichten rund um die Uhr Computerteile für Apple, Dell und Hewlett Packard, Spielkonsolen für Sony sowie Digitalkameras und Mobiltelefone für Nokia fertigen. Das Riesenwerk liegt nördlich von Shenzen im Perlflussdelta und bildet eine eigene Stadt mit Wohnheimen, Geschäften, Restaurants, einem Schwimmbad, einem Kino und einer eigenen Feuerwehr. Alles ist modern, funktional … und seelenlos. Die monotone, repetitive Arbeit am Fließband ist bei dem taiwanesischen Großkonzern militärisch durchorganisiert. 800000 Arbeiter beschäftigt jener größte Computerhersteller der Welt in ganz China. Der Mindestlohn beträgt bei Foxcomm 176 US-Dollar im Monat. Das sind 83 US-Cents die Stunde.

Nahm vor 20 Jahren die erste Generation der Wanderarbeiter noch mit schäbigen Unterkünften und elenden Arbeitsbedingungen vorlieb, um das Ersparte nach der Rückkehr in der ländlichen Heimat anzulegen, so will die neue Generation in den Küstenregionen bleiben. Um die teuren Wohn- und Lebenshaltungskosten dort bestreiten zu können, brauchen sie höhere Löhne und einen Ausgleich für die Inflation, die derzeit drei Prozent beträgt und wegen steigender Rohstoff-, Nahrungsmittel- und Wohnkosten bis Jahresende auf fünf Prozent steigen wird. Höhere Löhne will offensichtlich auch die Regierung. Sonst hätte sie jene Streiks, die von den Anführern bei Honda mit Mobiltelefonnachrichten zwischen den Werken organisiert worden waren, nicht toleriert. Der Erfolg der Streiks wird ohne Zweifel zahlreiche Nachahmer finden, denn qualifizierte Arbeitskräfte sind in den Küstenregionen knapp geworden. Deshalb will die Regierung, dass arbeitsintensive Massenfertigungen vermehrt ins unterentwickelte Hinterland nach Zentralchina verlegt werden, wo die Löhne noch niedrig und die Arbeiter reichlicher sind. Auch soll die Konjunktur, die derzeit dank der staatlichen Infrastrukturprogramme und des Immobilienbooms um acht Prozent wächst, in Zukunft statt von den Exporten stärker von der Binnennachfrage beflügelt werden. Und damit diese entsteht, bedarf es höherer Löhne.

Schon siedeln die ersten Hersteller von Schuhen und Textilien, bei denen der Arbeitskostenanteil hoch ist, vermehrt nach Vietnam und Kambodscha um. Bei der Elektronik wird es angesichts der großen Zuliefersysteme wesentlich schwieriger. Ein in China gefertigter Computer benötigt bis zu 900 Lieferanten, die es andernorts zu diesen Preisen und in dieser Effizienz nicht gibt.

Ohnehin ist der Anteil der Arbeitskosten an solchen Hochtechnologieprodukten gering geworden. Die Elektronikfirmen werden ebenso bleiben wie die Autohersteller. Gerade haben Volkswagen und BMW angekündigt, neue Werke im Süden beziehungsweise in der Mandschurei zu errichten. VW will dort als Marktführer seinen Ausstoß auf zwei Millionen Autos erhöhen, BMW im Luxussegment den seinigen auf 100000 Einheiten verdoppeln. Ohnehin zahlen sie bereits jetzt schon doppelt so hohe Löhne wie Honda und Foxcomm.       Albrecht Rothacher


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