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03.07.10 / Bittere Pille für schwindsüchtigen Westen / Toronto-Gipfel: Ehrgeizige Schwellenländer weisen alte Industriestaaten in die Schranken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-10 vom 03. Juli 2010

Bittere Pille für schwindsüchtigen Westen
Toronto-Gipfel: Ehrgeizige Schwellenländer weisen alte Industriestaaten in die Schranken

Ob Bankenabgabe, Finanztransaktionssteuer, Finanzmarktregulierung oder Schuldenabbau; in Toronto konnten sich G8 und G20 auf nichts einigen. Trotzdem markiert der Gipfel einen historischen Wendepunkt.

Es ist peinlich, wenn Lehrer plötzlich von ihren Schülern vorgeführt werden. Doch genau das ist die große Erkenntnis nach dem Gipfeltreffen im kanadischen Toronto. Angesichts der Schuldenmisere vieler Industrieländer waren die Kosten für das kurze Treffen der Mächtigen in Höhe von 840 Millionen Dollar ein hoher Preis dafür, dass sich die Staats- und Regierungschefs trotz hohem wirtschaftlichen Druck nicht einigen konnten.

Der legendäre G8-Gipfel erwies sich, wie bereits vorhergesagt, als eine überholte Einrichtung. Die sieben großen Industrienationen und das nachträglich in die Runde aufgenommene Russland mussten im Schatten der Weltwirtschaftskrise längst den Kreis der Wirtschaftsmächte auf G20 erweitern und sehen sich unversehens sogar einer Art „G3“ innerhalb der G20 gegenüber: einer Fortschrittsunion der drei mächtigsten Schwellenländer China, Indien und Brasilien.

Die Unterteilung der Welt in drei Klassen wie früher bei der Eisenbahn in 1. Klasse beziehungsweise die Erste Welt, die 2. Klasse der Schwellenländer und die Holzklasse der sogenannten Entwicklungsländer funktioniert angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftsprobleme inzwischen nicht mehr so richtig. Die arroganten Passagiere der 1. Klasse müssen sich unversehens die Sitze mit Emporkömmlingen teilen. 

Fast ohne Blessuren ist die aufstrebende Wirtschaftsmacht China aus dem Desaster hervorgegangen, legt an Wachstum zu und funktioniert gegenwärtig zudem als Motor der Weltwirtschaft. Ähnliches gilt auch für Indien und Brasilien. Vor diesem Hintergrund war bereits eine der Forderungen für den teuersten Gipfel aller Zeiten schon im Vorfeld Makulatur: Das Begehren der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die Bankenwelt global stärker an die Leine zu legen, war deshalb Utopie. Die Geldhäuser in Asien und Südamerika lassen sich eine solche Gängelung nicht bieten. Chinas Währung, der Yuan, ist sogar auf dem Weg, als Leitwährung eines Tages offiziell jene Rolle einzunehmen, die er hinter den Kulissen bereits spielt und die für Wohl und Wehe im Dollarraum sorgen kann. Denn US-Präsident Barack Obama steht mit Stichtag 2009 bei Peking mit 534 Milliarden Euro in der Kreide. Letztlich hat die Volksrepublik indirekt sogar schon den Irakkrieg von George W. Bush mitfinanziert. Eine bedenkliche Arbeitslosigkeit, eine immense Staatsverschuldung und nun die Ölkrise im Golf von Mexiko machen Obama ebenso zu schaffen, wie ähnliche Probleme den Europäern. Sie haben zusätzlich mit der Schwindsucht des Euros zu kämpfen. Gegen die neue wirtschaftliche Dominanz Chinas kommen die westlichen Führer – zudem in zahlreichen Kernfragen gespalten – nicht an. Und so, untereinander zerstritten, wird fast an ihnen vorbei ein neues Kapitel der Weltgeschichte eingeleitet.

Chinas Chefmilitärstratege, Brigadegeneral Liu Mingfu, bringt es in seinem Buch „Chinas Traum“ bereits auf den Punkt: „Die Welt braucht eine neue Führung, und das können nur wir Chinesen sein.“ Selbstbewusster geht es kaum. Und so müssen die westlichen Lehrmeister mühsam begreifen, dass sich das militärisch erstarkte Reich der Mitte den erhobenen Zeigefinger westlicher Politiker nicht mehr gefallen lässt. Das gilt nicht nur für Fragen der Ökonomie, sondern auch für die angemahnten Menschenrechtsverletzungen und die Ablehnung der Ziele des geistigen und weltlichen Oberhauptes der Tibeter, des Dalai  Lamas.

„Gipfel der Ohnmacht“ titelten einige Gazetten über den Toronto-Marathon schon vorab und beschrieben hiermit vornehm, was von Merkel schöngeredet wird: „Wir haben Fortschritte erzielt.“ Und auch Obama fasst die bitteren Erkenntnisse in das hoffnungsfrohe Wort, man sei sich  „näher gekommen“.

Demnach sollen die Haushaltsdefizite der westlichen Welt bis 2013 halbiert werden, dann mit dem Abbau der Staatsschulden Ernst gemacht werden – ein oberflächlicher und gleichwohl eher unverbindlicher Erfolg Merkels. Bei allen Maßnahmen gelten ohnehin zahlreiche Sonderregelungen für einzelne Länder, geschlossenes Handeln bleibt ein Traum. In Wahrheit geht erst einmal alles so weiter wie gehabt: Die USA machen weiter Schulden und müssten eigentlich sparen, die Europäer sparen plötzlich „auf Teufel komm raus“, als ob die Überschuldung neuesten Datums wäre und sich nicht schon über Jahrzehnte aufgeschaukelt hätte. Und China, Indien und Brasilien fahren weiter hohe, aus westlicher Sicht absolut traumhafte Wachstumsraten ein, und das ohne Inflation oder konjunkturelle Überhitzung. Jede Sekunde geht von China aus ein voll beladener Container in See – ein Zeichen dafür, dass der asiatisch-pazifische Raum, der drei Viertel der Weltbevölkerung auf sich vereinigt, auf dem besten Weg ist, das neue Zentrum der Weltwirtschaft zu werden. Das dürfte die bittere Pille sein, die der Westen zu schlucken hat.  Joachim Feyerabend


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